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Frankreich | Linksvorsitzende in Frankreich: „Das rüttelt an den Palästen“


Link [2022-06-17 22:31:23]



Aurélie Trouvé hofft als Präsidentin des „Parlaments der Linksunion“ auf den zweiten Wahlgang am 19. Juni

Dass sich im Bündnis Nupes nicht nur Parteien, sondern auch soziale Bewegungen sammeln, dafür steht Aurélie Trouvé. Die Allianz bringt Emmanuel Macron in Bedrängnis, denn in Runde eins der Parlamentswahl lag sie Kopf an Kopf mit den Macronisten. Trouvé selbst hat in ihrem Wahlkreis mit 53,3 Prozent stark vorgelegt.

der Freitag: Frau Trouvé, sind Sie gefährlich?

Aurélie Trouvé: Kommt darauf an, wen Sie fragen. Präsident Macron und seine Neoliberalen, die Krisengewinnler und Klimaheizer bekommen mit der Nupes tatsächlich ein Problem. Mit uns geht es in eine bedürfnisorientierte Wirtschaft, in eine vertiefte Demokratie und zur ökologischen Umsteuerung. Das rüttelt an den Palästen.

Sind Sie bereit, morgen zu regieren?

Die ersten Erlasse und Gesetzesentwürfe sind geschrieben.

Die Männer und Frauen des Präsidenten haben in schrillen Tönen den Untergang Frankreichs und Europas beschworen, falls Nupes die Mehrheit gewinnt.

Die Rechte ist in Panik, und sie macht auf Panik. Ich nehme das als gutes Zeichen. Denn Macron wollte diese Wahl unter den Teppich kehren. Wer wählt schon freiwillig die Klimakatastrophe und ein höheres Rentenalter? Wer stimmt für die Demontage der öffentlichen Schulen und Spitäler? Wer akzeptiert Abstriche an den Sozialleistungen, wenn der Präsident den Aktionären zugleich 120 Milliarden aus unseren Steuergeldern schenkt? Die Mehrheit kann das nicht wollen.

Zur Person

Aurélie Trouvé (42) ist eine promovierte Ökonomin und Agraringenieurin. Von 2006 bis 2012 war sie Co-Präsidentin von Attac und von 2016 bis 2021 Sprecherin dieses Vereins in Frankreich. Im Dezember 2021 übernahm sie den Vorsitz des „Parlaments der Linksunion“, die Jean-Luc Mélenchon anführt.

Sie sagen, Macron wollte eine Mehrheit durch die Einschläferung der Demokratie gewinnen.

Genau so, doch mit der Gründung der Nupes haben wir seine Strategie durchkreuzt. In 650 Punkten unseres Programms sagen wir präzise, wohin wir wollen. Das hat die Gesellschaft geweckt, sodass Macron die letzten Tage vor der Wahl beinahe hysterisch wirkte.

Macrons Thinktank Terra Nova wirft Ihnen vor, Ihr Programm sei nicht seriös.

Ein alter Trick. Wir haben Terra Nova gesagt: Kein Problem, diskutieren wir öffentlich Punkt um Punkt. Doch die wollten das nicht. Warum wohl? Unser Programm wurde von mehreren Dutzend Ökonomen entworfen, darunter Leute aus dem Finanzministerium und von der Zentralbank. Wir haben konservativ gerechnet, mit den offiziellen Zahlen. Das Ergebnis haben wir vor Wochen veröffentlicht und seither mit der Fachwelt diskutiert. Welche andere Partei hat dies getan? Unterm Strich ergeben sich auf fünf Jahre Investitionen von 250 Milliarden Euro und Mehreinnahmen von 267 Milliarden. Unser Plan rechnet sich. Und am 9. Juni kam der Hammerschlag: Mehr als 300 namhafte Ökonomen haben ihn öffentlich unterstützt. Wir jedenfalls sind bereit.

Dafür müsste Nupes erst einmal stärkste Kraft im Parlament werden. Ist das realistisch?

Der 19. Juni wird entscheiden. Noch vor zwei Monaten hat es niemand für möglich gehalten, dass sich die Union Populaire Jean-Luc Mélenchons, andere linke Parteien und die Grünen verbünden. Eine solche Allianz gab es seit 90 Jahren nicht mehr. Warum heute? Sagen wir es so: Die kollektive Intelligenz hat verstanden, dass wir im Angesicht einer angekündigten Katastrophe handeln. Die Menschheit steht an einer Weggabelung. Rechts geht es ökologisch und sozial mit Karacho gegen die Wand. Das wissen und spüren alle. Der neoliberale Kapitalismus produziert keine Lösungen, sondern nur mörderische Krisen und Hoffnungslosigkeit. Also ziehen wir es vor, in die andere Richtung abzubiegen.

Sie sind eine profilierte Kapitalismuskritikerin. SP-Chef Olivier Faure weniger. Und der Grünen-Chef Julien Bayou glaubt, Ökologie und ...

Pardon, aber für solchen Unsinn ist einfach keine Zeit mehr. Der soziale, ökologische und demokratische Notstand hat sich derart verschärft, dass wir nicht mehr warten können. Darin sind wir uns einig. Haben Sie die erleichterten Gesichter von Faure, Bayou und all den anderen beim Gründungsmeeting der Nupes beobachtet? Endlich gehen wir die Dinge von der Wurzel her an, also radikal. Große Dinge wie ökologische Planung müssen sorgfältig demokratisch ausgehandelt werden. Mit gemischten Räten etwa: ein Drittel aus der Politik, ein Drittel aus sozialen Bewegungen, ein Drittel durch Los bestimmt.

Es gibt ein Nupes-Parlament, dessen Präsidentin Sie sind. Nach 20 Jahren Engagement in sozialen Bewegungen – ist Ihnen die Rolle als Politikerin nicht suspekt?

Nein, denn diese Sphären gehören zusammen. Ohne Massenbewegungen gibt es keinen gesellschaftlichen Wandel. Wir denken gerade das Verhältnis von sozialen Bewegungen und Parteien neu. Die Bewegungen werden politisiert, die Linke wird in Bewegung gesetzt. Das Nupes-Parlament ist der gemeinsame Raum. Hier sollen die Bewegungen auch sagen können: Stopp, da baut ihr gerade Mist. Parteien, Gewerkschaften und Bewegungen sind stark, wenn sie autonom agieren. Autonom, doch verbündet – denn gemeinsam sind sie mehr als die Summe ihrer Teile.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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