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Filmstart | „France“ zeigt die Auswüchse des Infotainment: Frivol, obszön, zynisch


Link [2022-06-11 15:17:24]



Bruno Dumont führt in „France“ die Welt des Infotainment vor – als mediale Strategie zur Ausbeutung des Leids dieser Welt

Wie nahe kommt man der Welt, wenn man eine Sendung moderiert, die einen Blick auf sie verspricht? Die Fernsehjournalistin France de Meurs ist mit dem Format Un regard sur le monde zum unangefochten Star ihres Nachrichtensenders geworden. Im Studio stachelt sie unerbittlich lächelnd die Streitlust ihrer Gäste bis zur nächsten Werbeunterbrechung an. Als Reporterin sucht sie zahlreiche Krisenherde weltweit auf, um hautnah von den Konflikten zu berichten.

Einmal, als das spektakuläre Drehmaterial im Kasten ist, plaudert France (Léa Seydoux), nun als entspannte Zivilistin, mit einem vorherigen Interviewpartner am Swimmingpool ihres Hotels. Sie ist verblüfft, als er erzählt, dass er eigentlich kein Soldat sei, sondern Architekt. Das sei großartig, findet sie, es gäbe hier ja so viel, was wieder aufzubauen sei. „Nein“, entgegnet er, „alles!“. Augenblicklich verstummt sie, ihr Lächeln gefriert. Für diese Wahrheit hat France keine Verwendung; sie fällt nicht mehr in ihre Zuständigkeit.

Ihr Metier ist die quotenbringende Nachinszenierung der Wirklichkeit. An die Schauplätze des Leides und der Verheerung reist sie wie eine ignorante Touristin, die umgehend heimkehren kann. Ihr Blick auf die Welt ist einer, der nichts sieht, sondern selbst gesehen werden will. Frances Präsenz ist die eigentliche Nachricht, die das Publikum des Senders erreichen soll. In Bruno Dumonts Film bestätigen sich sämtliche Warnungen vor den fatalen Auswüchsen des Infotainments, die Marcel Ophüls bereits 1994 in seinem Dokumentarfilm Die Geschichte der Kriegsberichterstattung aussprach. Dass Fernsehmoderatorinnen einmal zu begehrten Objekten von Selfie-Jägern werden könnten, überstieg freilich selbst seine agile Fantasie.

Dumonts Titelfigur verkörpert jene narzisstische Nähe zur Macht, die Ophüls vor fast drei Jahrzehnten tiefes Unbehagen bereitete. France spricht Minister mit dem Vornamen an und führt den Präsidenten der Republik keck bei einer Pressekonferenz im Elyséepalast vor. Wenn nach einem ihrer Coups die sozialen Medien explodieren, bereitet das ihr und ihrer opportunistischen Assistentin Lou (Blanche Gardin) ein kindisches Vergnügen. France übt ihren Beruf mit furchterregendem Unernst aus. Die Welt existiert, um ihren Drang zu erfüllen, sich in Szene zu setzen.

Was Kapitalismus bedeutet

Mit dem digital fingierten Auftritt Emmanuel Macrons, der den Film eröffnet, gelingt Dumont zwar selbst ein spektakulärer Coup, aber die Medienmaschinerie, die er aufspießt, fasziniert ihn eigentlich kein bisschen. Er denunziert ihre Sterilität in metallisch anmutenden Bildern, denen die Farben (mit Ausnahme von Frances Lippenstift) weitgehend entzogen sind. Als strenger Moralist kann Dumont nicht aus seiner Haut. Er überzeichnet ein Milieu, das selbst schon Karikatur ist. Die vernichtenden Adjektive – frivol, obszön, zynisch – legt er dem Publikum geradewegs in den Mund. Insgeheim würde er wohl gern zu einer noch umfassenderen Geißelung der französischen Eliten ausholen. Immerhin gönnt er sich die Abschweifung zu einer Wohltätigkeitsgala, die in einer bizarren Apologie des Kapitalismus („Er bedeutet, geben zu können“) gipfelt.

Dieser Regisseur kennt seine Feindbilder genau. Mithin ist der Spielraum, den er sich gibt, begrenzt. France muss nicht erst entlarvt werden, sie ist von Beginn an als Monstrum gesetzt. Allein ihr Vorname ist schon anmaßend genug. Die Zeichnung des Gespanns, das sie mit Lou bildet, ist nachgerade misogyn. Aber einen ganzen Film kann man schwerlich nur gegen seine Hauptfigur drehen. France muss zugänglich werden, berührbar. Zu diesem Zweck schickt Dumont sie auf einen Kreuzweg.

Eingebetteter Medieninhalt

Die Journalistin verursacht einen Verkehrsunfall, bei dem ein Motorradbote schwer verletzt wird. Auch dieses Ereignis lässt sich zwar medial ausschlachten – eine Geschichte mit menschlicher Komponente, diesmal in eigener Sache –, aber die Wirklichkeit, auf deren Relevanz Dumont besteht, übt Vergeltung für ihre Korrumpierung. France erleidet einen Nervenzusammenbruch. Sie hat Aussetzer vor laufender Fernsehkamera. Die Filmkamera fährt nahe an sie heran, um ihre Schweigepausen gleichsam unbarmherzig auszukosten. Ihr Familienleben bietet keinen Halt. Es ist ein eisiges Arrangement. Dank der Heirat mit Fred (Benjamin Biolay) trägt sie einen adligen Nachnamen, aber als Trophäen-Gatte taugt der ausgebrannte Schriftsteller nicht mehr. Sie verdient fünfmal so viel wie er. In einem Sanatorium, in das France sich zurückzieht, begegnet sie Charles (Emanuele Arioli), der vorgibt, nichts von ihrem Starruhm zu wissen. Allzu gern vertraut sie sich diesem Klischee weltferner Unschuld an. Er entpuppt sich jedoch als Journalist, der auf einen eigenen Scoop aus war. Diese Demütigung könnte die erste echte Erfahrung sein, die sie macht.

Ihre Hiobsgeschichte schlägt weitere Volten. Dumont bietet einen weiteren, nun katastrophalen Verkehrsunfall auf. Er liebt die Unerbittlichkeit erzählerischer Symmetrien. Während France in der ersten Hälfte ständig in unangebrachtes Lachen ausbrach, wird sie nun von Weinkrämpfen überwältigt. Der Regisseur ist empfänglich für ihre Tränen. Auch sie betrachtet er mit grimmiger Ironie: Die Emotionenjägerin wird von ihren eigene Gefühlen eingeholt. Den falschen Gewissheiten ihres früheren Lebens kann sie unterdessen nicht entrinnen. Die Medienmacht, über die sie gebietet, bleibt ohne Korrektiv. Von journalistischem Ethos gibt es in dieser Welt nirgends eine Spur. Eine belastbare Öffentlichkeit existiert in ihr nicht, nur Konsumenten, die derselben Regression in infantile Impulse unterliegen. Die Blase, in der France existiert, platzt nicht. Die Folgenlosigkeit kann ein entsetzliches Schicksal sein.

Info

France Bruno Dumont Frankreich 2021, 133 Minuten

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