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Film | Leander Haußmanns „Stasikomödie“: Die Ohren der Anderen


Link [2022-05-21 23:13:39]



Leander Haußmann hält dem Oscargewinner „Das Leben der Anderen“ nun seine „Stasikomödie“ entgegen

Leander Haußmann sitzt beim Psychologen. Er schildert einen Zustand, in dem er Grenzen sprengen möchte. Dann würde er gerne sagen: „Das Leben der Anderen ist ein Scheißfilm, und alle, die ihn gut finden, sind auch scheiße.“ Das jedenfalls erzählt Haußmann, der einst als jüngster Theaterintendant Deutschlands und ansonsten mit dem Kinohit Sonnenallee berühmt wurde, in Buh, seiner 2013 erschienenen Sammlung autobiografischer Erzählungen. Sollte sich jener Psychologe gefragt haben, was an Das Leben der Anderen, Florian Henckel von Donnersmarcks oscarprämiertem Stasi-Drama aus dem Jahr 2006, so „scheiße“ sein soll – Haußmanns neuer Film liefert Antworten und verblüfft zugleich mit einer Annäherung.

In Stasikomödie erinnert sich der 1959 in Quedlinburg geborene Schauspielersohn Haußmann einmal mehr an das Aufwachsen in der DDR. Vom Ministerium für Staatssicherheit wird nun nicht mehr nebenbei erzählt. Das MfS versucht in den 1980er-Jahren, inoffizielle Mitarbeiter in die subversive Künstlerszene des Berliner Ost-Bezirks Prenzlauer Berg zu schleusen. Der Fall Sascha Anderson stand hier offensichtlich mit Pate. Der hübsch-naive Ludger (David Kross) landet bereits bei seinem ersten IM-Einsatz im Bett einer schönen jungen Frau. Fortan verwickeln sich Konspiration und Emotion zu einem unterhaltsamen Durcheinander, sehr zum Missfallen des Führungsoffiziers Siemens, den Henry Hübchen mit ekligen Zähnen, teuflischem Lachen und viel Vergnügen spielt.

Apropos Hübchen. Dessen Beziehung zu Das Leben der Anderen kulminierte 2006 in der Talkshow 3 nach 9. Damals thronte Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck in einem viel zu kleinen Sessel. Ihm gegenüber fläzte sich Hübchen, zunehmend gereizt. Er hatte Das Leben der Anderen in einem Interview mit dem Stern als „rührselige, schlecht recherchierte Politschmonzette“ abgewatscht. Das ging von Donnersmarck an die Ehre. Voller Inbrunst schilderte er seine vierjährige Recherchearbeit. Schließlich sprach der Spross zweier Adelsgeschlechter, der in den 1980ern auch in New York und Brüssel aufgewachsen war, seinem Gegenüber das Recht ab, sich kritisch zu seinem Film zu äußern. Bekanntlich habe der die damalige Zeit vor allem auf dem Surfbrett an der Ostsee verbracht. Tatsächlich war Hübchen zweimaliger DDR-Meister im „Brettsegeln“, aber vor allem ein Schauspiel-Star, an der Berliner Volksbühne, in Film und Fernsehen.

Trotzdem scheint die Sonne

Eine erste künstlerische Retourkutsche brachte (der hessische Arbeitersohn) René Pollesch bereits wenige Wochen später auf die Volksbühne. Sein Stück L’affaire ... schrieb der Großfamilie Henckel von Donnersmarck einen Mangel an gesellschaftlicher Anschlussfähigkeit zu, den sie mit dem Dreh eines identitätsstiftenden Filmes über „die Anderen“ zu überwinden hoffte. 13 Jahre später inszenierte Leander Haußmann, auch an der Volksbühne, sein Staatssicherheitstheater, das sich nun, gekürzt, in Stasikomödie wiederfindet. Gleich zu Beginn wird Das Leben der Anderen aufs Korn genommen. Dort hieß es in einer Einblendung „Ostberlin, 1984. Die Bevölkerung der DDR wird von der Stasi unter Kontrolle gehalten“. Haußmann eröffnet mit einer schwarzweißen Ansicht von Berlin, inklusive Fernsehturm. Es folgt: „Berlin in den 1980er-Jahren. Trotzdem scheint die Sonne.“ Schon wechselt das Schwarzweiß zur Farbe.

Das Verwanzen einer Wohnung funktioniert in Das Leben der Anderen hochprofessionell, nach Stoppuhr. So hätte sich wohl auch das MfS selbst gerne gesehen. Die Nachbarin wird beim Luschern durch den Türspion ertappt und beugt sich sofort der staatlichen Gewalt. In Stasikomödie funktioniert noch nicht mal das Knacken des Türschlosses, der Agenteneinsatz wirkt wie Boulevardtheater, nicht wie James Bond. Die „neugierige Nachbarin“ (Carmen-Maja Antoni) ist alles andere als ein Opfer, sonder eine gewitzte Opportunistin. Auf ähnliche Weise lassen sich der dramatische Thriller und die Tragikomödie weiter nebeneinander stellen. Es lohnt sich aber genauso, auf ihre Schnittmengen zu achten. Denn beide Filme huldigen der lebensverändernden Kraft der Kunst. Bei von Donnersmarck, der aus der Hochkulturszene erzählt, heißt es an einer Stelle über ein Klavierstück: „Kann jemand, der diese Musik gehört hat, wirklich gehört hat, noch ein schlechter Mensch sein?“ Seine Antwort lautet: Nein. Gleichzeitig erklärt er das Mittel der Erkenntnis zum Instrument der Distinktion. Man muss schon „wirklich hören“, sonst wird’s nichts mit dem guten Menschen. Bei Haußmann funktioniert Musik eher als Soundtrack, als ein Erkenntnismittel von vielen, neben improvisierten Rauschmitteln, Sex, Literatur und immer wieder: dem Zufall.

Alles andere als zufällig endet die Stasikomödie, und das ist nicht zu viel verraten, wie Das Leben der Anderen: vor der Auslage einer Buchhandlung. Hier endet auch die Rahmenhandlung, in der der vierzig Jahre älter gewordene Ludger (Jörg Schüttauf) seine Stasi-Akte im Kreise seiner Familie öffnet. Hier schlägt Haußmann überraschend andere Töne an. Zu Reinhard Meys Gute Nacht, Freunde wird das utopische Ende von Sonnenallee reinszeniert, um dann in einem einzigen Bild einer lauernden Staatsmachttruppe daran zu erinnern, wie im Oktober 1989 die Volkspolizei im Prenzlauer Berg Demonstrierende niederknüppelte. Der zuvor immer wieder auftauchende Kalauer, in der Künstlerszene sei zumindest „jeder zweite bei der Stasi“ gewesen, löst sich hier auf so ambivalente Weise auf, dass man sich fast nach von Donnersmarcks Filmende und dessen moralischem Gleichgewicht sehnt. Zugleich wird einmal mehr klar: Nur weil ein Drama es „ernst“ meint, findet man darin nicht automatisch mehr historische Wahrheiten als in einer Komödie.

Info

Stasikomödie Leander Haußmann Deutschland 2022, 116 Minuten

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