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Feministische Literatur | Besser kommen


Link [2022-03-23 15:13:52]



Liebe, Sex und Begehren dringen tief ins Private und sind doch so politisch wie nie

Kurz nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine postete die Berliner Hetäre Salomé Balthus auf Facebook ein lustvolles Selbstporträt. Darunter versprach sie auf Russisch: „Alle Deserteure des russischen Militärs bekommen kostenlosen Sex mit mir!“ Statt moralischer Empörung löste Balthus’ politisches Statement überwiegend Zustimmung aus.

Möglicherweise befinden wir uns schon mitten in der Revolution, die die britische Star-Feministin Laurie Penny in ihrem neuen Buch ausruft. Die Sexuelle Revolution, die ihr vorschwebt, stellt sich „dem Machtmissbrauch auf allen Ebenen entgegen“, heißt es da. Der brutale Überfall der Ukraine ist ohne Zweifel ein solcher Machtmissbrauch.

Der Krieg, den Penny beschreibt, ist dennoch ein anderer. Die Verschmelzung der allgegenwärtigen Sexualität mit den gesellschaftlichen Machtverhältnissen habe zu einem Klima geführt, „in dem der Freiheitsgedanke theoretisch fetischisiert und praktisch ausgehölt wird“. Das Ergebnis seien autoritäre Tendenzen, die die politische Mainstream-Kultur vollkommen durchdrungen hätten. Diesen Mainstream gelte es aufzubrechen, um ein lebensbejahendes Miteinander zu schaffen.

Wer meint, dass für einen solchen Wandel der Begriff Revolution zu hoch gegriffen sei, dem nimmt Penny gleich den Wind aus den Segeln. Die sexuelle Revolution bedrohe mit ihrer Forderung einer Neuorganisation von Fürsorge und Arbeit die moderne Wirtschaftsordnung. Die Britin will nichts weniger, als die neoliberale Ordnung der Welt auf den Kopf stellen, um die „Kultur des Zwangs“ (rape culture) durch eine „Kultur der Einvernehmlichkeit“ (consent culture) abzulösen. „Ein Kulturkrieg, den entweder alle gewinnen oder niemand.“

Derlei kompromisslose Alles-oder-nichts-Ansagen machen skeptisch. Umso überraschender, wie überzeugend die 36-jährige Journalistin die aus ihrer Sicht relevanten Bruchkanten des Daseins analysiert. Dabei nimmt sie die klassischen feministischen Handlungsfelder in den Blick, diskutiert reproduktive Rechte, körperliche Selbstbestimmung und Schönheitsnormen, sexuelle Gewalt und Frauenhass, Prostitution und Pornografie sowie Arbeitsverhältnisse und Beziehungsarbeit.

Zugleich zeigt sie, wie „aus der Debatte über das Leben von Frauen ein Referendum über die Seelen der Männer geworden ist“. Dabei schreibt sie auch über eigene Traumata wie Bodyshaming und Vergewaltigung. Keine Frau, so die Botschaft, ist vor solchen Erfahrungen sicher oder daran schuld. Die Kehrseite dieses subjektiv motivierten Schreibens ist eine latente Wut auf den Hetero-Mann, die sich in irritierenden Pauschalbehauptungen Bahn bricht.

Penny räumt aber auch ein, dass „jede weiße Person, die über Politik schreibt, intellektuell weiße Scheuklappen“ trägt. Wer die ablegen will, dem sei Das Recht auf Sex der amerikanisch-indischen Philosophin Amia Srinivasan empfohlen. Nirgendwo werden die fatalen Zusammenhänge von Sexualität, Macht, Klasse, Gender und „race“so deutlich aufgezeigt wie hier.

Consent culture ist nicht alles

Diese politische Kritik der Sexualität ist ebenfalls von der Hoffnung auf eine andere Welt getragen. Mutig blickt die 38-jährige Philosophin in die dunklen Abgründe des Sexuellen, nicht um zu urteilen, sondern um die Ambivalenzen des gesellschaftspolitischen Umgangs mit Begehren, Pornografie und Sexarbeit, Misogynie und häuslicher Gewalt herauszuarbeiten.

„Diese Essays bieten kein Zuhause“, warnt sie eingangs, um dann die Leserschaft mit unbequemen Wahrheiten zu konfrontieren. Dabei entpuppt sich der provokante Titel als Irreführung. Er lehnt sich an das Manifest von Elliot Roger an, der meinte, er hätte ein „Recht auf Sex“. Der in Incel-Foren gefeierte Frauenhasser tötete 2014 sechs Menschen, weil keine Frau mit ihm ins Bett gehen wollte.

Natürlich gibt es kein pauschales Recht auf Sex, wenngleich sexpositive Feminist:innen wie Laurie Penny das so auch nicht behaupten. Sex, würden sie betonen, unterliegt immer der Einschränkung auf Einvernehmlichkeit; „consent culture“ statt „rape culture“. Srinivasan weist darauf hin, dass dieser Ansatz in einer patriarchalen Gesellschaft einen entscheidenden Aspekt unterschlägt. Wenn „consent“ die einzige Voraussetzung für ethisch einwandfreien Sex sei, werde die sexuelle Präferenz zum Leitmotiv jeglichen Handelns. Das berge die Gefahr, „nicht nur Misogynie, sondern auch Rassismus, Transphobie und sämtliche anderen Unterdrückungssysteme, die über den scheinbar harmlosen Mechanismus ‚persönlicher Präferenz‘ Eingang ins Schlafzimmer finden, zu entschuldigen“. Dass persönliche Vorlieben zudem Konstrukte politischer Wirklichkeit sind, macht die Philosophin anhand von Abstufungen individueller „Fickbarkeit“ sichtbar. Demnach wirke sich positiv auf den Status aus, „geile blonde Schlampen“ und weibliche East Asians zu vögeln, während schwarze Frauen und männliche Asians als relativ unfickbar gelten. Sex mit schwarzen Männern werde fetischisiert und vor geistig oder körperlich beeinträchtigten oder korpulenten Körpern gebe es sogar eine regelrechte Abscheu. Wer begehrt wird und wer nicht, ist politisch motiviert.

Möglicherweise liegt der beste Sex aber noch in der Zukunft. Wer gut kommen will, muss diesen Mustern also erst einmal entkommen. Denn im allerbesten Fall „kann sich das Begehren dem widersetzen, was die Politik für uns entschieden hat, und selbst entscheiden“. Immer wieder nimmt die Philosophin Abhängigkeitsverhältnisse und Machtstrukturen in den Blick. Anhand statistischer Daten zeigt sie etwa, dass Strafverfolgungsbehörden in den USA dem von weißen Frauen vorgebrachten Vorwurf sexueller Gewalt durch einen schwarzen Mann deutlich häufiger nachgehen, als wenn schwarze Frauen weiße Männer eines Übergriffs bezichtigen. Ursächlich sind rassistische Stereotype, die den schwarzen Mann als notorischen Vergewaltiger und die schwarze Frau als chronisch promiskuitiv zeichnen. Feminist:innen sollten daher genau hinschauen, wenn sie konsequente Strafverfolgung fordern.

Spannend sind auch die Gespräche, die die in Oxford lehrende Professorin mit Studierenden über Pornografie geführt hat. Für die „ist Sex das, was die Pornoindustrie als Sex definiert“, was wiederum Penny mit den Worten „geölte Körper, die einander am Fließband in die Unterwerfung bumsen“ treffend beschreibt. Srinivasans Text ist jedoch kein antipornografisches Manifest, sondern will eine differenzierte Betrachtung der politischen Anti-Porno-Bewegung sein. Mainstream-Praktiken wie „die gute alte Hetero-Pornografie“ lasse die nämlich unangetastet, während kinke BDSM-Praktiken zensiert werden.

Mehr als Erdulden

Auch die amerikanische Literatin Maggie Nelson interessiert sich für die halbseidenen Zonen der Lust. In dem Sex-Essay in ihrem aktuellen Buch Freiheit beschreibt sie Sexualität „als potenziellen Raum des Lernens“, in dem Grenzerfahrungen möglich sind. Die gegenwärtige Fixierung der individuellen Sexualität auf Gefahren und Abgründe findet sie lebensfern. Um die Wahrscheinlichkeit negativer Erfahrungen zu verringern, „sollten wir Räume für die Praxis der Freiheit erweitern, ohne jedoch eine Welt herbeizufantasieren, in der unsere Sicherheit immer garantiert ist“, schreibt die 49-Jährige. Zum Menschsein gehöre, „mit dem Verlangen fertig zu werden, dunkle Räume zu umkreisen oder zu betreten“. Zugleich macht Nelson deutlich, dass die „consent culture“ keine befriedigenden Antworten auf die heiklen Fragen von Macht, „race“ und Klasse biete. Einvernehmliche Sexualität ist nicht automatisch erfüllend oder gewaltfrei, das zeigen sowohl Nelson als auch Srinivasan auf. Sexuelle Freiheit bedeute, „Ja zu sagen, vor allem, wenn es mehr oder etwas anderes bedeutet als Erdulden“, so Nelson.

In diesem Ja-Sagen – zur Selbstliebe, zum Begehren, zur Sexualität – liegt für die 2021 verstorbene Aktivistin bell hooks die tatsächliche feministische Revolution. In ihren vor 20 Jahren verfassten und nun übersetzten Ratgebern appelliert sie an den „Willen, das eigene Selbst auszudehnen, um das eigene spirituelle Wachstum oder das eines anderen Menschen zu nähren“. Liebe ist für die feministische Ikone eine politische Utopie, die Dominanz und Unterdrückung ein Ende macht.

Zuweilen merkt man den Texten ihr Alter an, auch so manchen Verweis auf spirituelle Erweckung muss man erdulden. Aber ihre Ethik der Liebe bleibt aktuell. Etwa wenn sie schreibt, dass Kulturen der Dominanz auf die „Kultivierung der Angst“ bauen. Wie man die Angst abbauen und in der Liebe die Freiheit entdecken kann, beschreibt sie in Lieben lernen, wo sie aus persönlicher Erfahrung heraus Macht, Körper, Alter und Sexualität in den Blick nimmt. „Frauen, die lernen zu lieben, stellen die größte Gefahr für den patriarchalen Status quo dar“, schreibt hooks dort. Dass diese Herausforderung nicht allein bei den Frauen liegt, darf man heute als gesetzt sehen.

Warum das Männern Angst macht, erklärt die französische Aktivistin Emilia Roig in dem lesenswerten Sammelband Das Paradies ist weiblich. Männer würden nicht verstehen, dass der Feminismus nicht umgekehrt die Dominanz der Frauen anstrebe, sondern eine gerechtere, „unterdrückungs- und hierarchiefreie Welt“. Aber auch das ist radikal. Denn das Ende des Patriarchats ist nicht ohne das Ende „der institutionalisierten Heterosexualität, das Ende der Polizei und der Gefängnisse, das Ende des Nationalstaats, das Ende des Geldes (im kapitalistischen Sinne) und das Ende der Lohnarbeit“ zu haben.

Die Freiheit des Individuums erfordert das Ende der Dominanz. „Ficken für den Frieden“ ist dann Ausdruck einer politischen Haltung sowie freien und selbstbestimmten Entscheidung für die sexuelle Revolution.

Info

Sexuelle Revolution Laurie Penny Anne Emmert (Übers.), Edition Nautilus 2022, 384 S., 24 €Das Recht auf Sex. Feminismus im 21. Jahrhundert Amia Srinivasan A. Emmert, C. Arlinghaus (Übers.),Klett-Cotta 2022, 320 S., 24 €Freiheit. Vier Variationen über Zuwendung und Zwang Maggie Nelson Cornelius Reiber (Übers.), Hanser Berlin 2022, 400 S., 26 €Lieben lernen. Alles über Verbundenheit bell hooks Elisabeth Schmalen (Übers.), Harper Collins 2022, 304 S., 20 €Das Paradies ist weiblich. 20 Einladungen in eine Welt, in der Frauen das Sagen haben Tanja Raich (Hg.), Kein & Aber 2022, 256 S., 24 €

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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