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Feminismus | Transgender Trouble


Link [2022-04-19 08:33:18]



Alice Schwarzer hat ein neues Buch über Transgeschlechtlichkeit herausgegeben und erntet Kritik. Zu Recht?

Vor gut drei Jahrzehnten beschwor Judith Butler mit ihrem Buch Gender Trouble eine folgenreiche feministische Debatte über das Geschlecht herauf. Nun eröffnen EMMA-Herausgeberin Alice Schwarzer und Redakteurin Chantal Louis eine neue Runde in diesem Kampf. Ihr jüngst veröffentlichtes Buch Transsexualität könnte auch den Titel „Transgender Trouble“ tragen. Schwarzer und Louis beklagen einen allzu leichtfertigen Umgang mit dem Terminus „Transgender“ für alle Menschen, die sich nicht mit der ihnen zugewiesenen Geschlechterrolle identifizieren können. Dass binnen nur weniger Jahre die Zahl der jungen Frauen, die sich als transgender definieren und eine Geschlechtsangleichung anstreben, angeblich um 4.000 Prozent angestiegen ist, begreifen sie als „alarmierendes Zeichen“.

Die Reaktionen auf die Veröffentlichung waren so erwartbar wie einseitig. Schwarzer und Louis wurden als „rechte“ Feministinnen diffamiert, das Buch vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) als „gefährlich“ und „unverantwortlich“ gebrandmarkt. Chantal Louis trat daraufhin aus dem Verband aus, dem sie über zwanzig Jahre lang angehört hatte, und verabschiedete sich mit einem offenen Brief, den sie in der EMMA veröffentlichte: „Ihr seid leider ein Totalausfall“, stand da. Die Empörungsspirale erinnert an die Debatte um das Buch Beißreflexe von Patsy l’Amour laLove. Was man bei der Ablehnung des Buches von Schwarzer und Louis glatt übersehen könnte: Wie in Beißreflexe kommen Betroffene und Aktivisten zu Wort, die selbstbewusst über ihr Transsein sprechen und zugleich Elemente des Transaktivismus kritisieren. Das Framing, Schwarzer sei „rechts“, ist offensichtlich unlauter.

Hoden machen keinen Mann

Spätestens bei der Lektüre von Transsexualität wird deutlich, dass Schwarzer von Feministinnen geprägt wurde, die zwar die Festschreibung der Frau auf ihre Biologie vehement kritisierten, zugleich aber das biologische Geschlecht nie infrage stellten. Allen voran gilt das für Simone de Beauvoir. Beauvoir wird bisweilen als Agentin eines Feminismus missverstanden, der das biologische Geschlecht zurückgewiesen hätte. Tatsächlich dekonstruiert ihr Werk Das andere Geschlecht die Vorstellung, dass die Frau nur eine „natürliche Tatsache“ sei. Daher der berühmte Satz, man werde nicht als Frau geboren. Wobei die übliche deutsche Übersetzung, wonach man zur Frau „gemacht werde“, nicht korrekt ist.

Beauvoir geht, mit dem Philosophenfreund Maurice Merleau-Ponty, von einem verkörperten Zugang zur Welt aus. Deswegen beschreibt sie ausführlich die anatomischen und hormonellen Gegebenheiten des weiblichen Geschlechts. Die Feministinnen, die von Beauvoir geprägt wurden, hatten keine andere Wahl, als sich mit dem verkörperten Frausein auseinanderzusetzen. Alle Fragen der reproduktiven Rechte kreisen um einen Körper, der schwanger und potenziell vergewaltigt werden kann.

Diese körpernahe Definition des Frauseins führte auch in der Bewegung häufig zu einer neuen Form des essenzialistischen Denkens, das sich Schwarzer nicht zu eigen machte. Sie schreibt: „Die Mehrheit der Feministinnen war der Auffassung, Transfrauen seien keine ‚richtigen‘ Frauen und hätten in Frauenräumen nichts zu suchen. Ich fand das ‚biologistisch‘ und solidarisierte mich mit den Transfrauen, ‚meinen Schwestern‘, wie ich 1984 schrieb.“ Dass viele Queerfeministinnen solche Feministinnen wie Schwarzer trotzdem als TERFS (also als transexklusive Feministinnen) framen, ist nicht nur, aber auch Ausdruck eines Generationenstreits.

Die Existenz anatomischer Differenzen ist so banal wie trivial. Freilich machen weder Hoden noch Uterus einen Mann oder eine Frau, und das würde keine Feministin, die noch bei Sinnen ist, behaupten. Aber die anatomischen Unterschiede sind auch nicht bedeutungslos. Denken wir nur an den Bereich der sogenannten Gender Data Gap: Gemeint ist eine Datenlücke, die darin besteht, dass Produkte und Medikamente häufig für Männerkörper konzipiert und an ihnen getestet werden. Die Bezeichnung Gender Data Gap ist jedoch falsch, die Daten betreffen ja nicht das soziale Geschlecht (Gender), sondern die anatomischen und physiologischen Aspekte (etwa Körpergröße, Gewicht und Hormonhaushalt). Die Leugnung jeglicher körperlichen Differenz macht die gerade erst angestoßene Debatte über dieses Thema zunichte. Sie führt aber zu einem tieferen feministischen Problem: Wenn es keine materielle Grundlage des Frauseins gibt, wie definiert man die Frau? Die Antwort des Queerfeminismus lautet: Das Gefühl der Zugehörigkeit definiert das Frausein.

Schwarzer und Louis argumentieren, dies bedeute, dass sich so jeder Mann, der sich kurzerhand als Frau definiert, obwohl er nicht trans ist, Zugang zu Schutzräumen für Frauen verschaffen könne. Louis beschreibt den Fall von Darren Merager, der sich als Frau definierte und Zutritt zu einem Frauen-Saunaclub verlangte. Mehrere Mädchen und Frauen beschuldigten ihn der sexuellen Belästigung, unter anderem habe er sich vor ihnen mit erigiertem Penis gezeigt. Merager war als Exhibitionist polizeibekannt, aber sein Ausschluss aus einer Frauensauna wurde von Transaktivisten als transfeindlich markiert. Merager wurde wegen Missbrauchs zu drei Jahren Haft verurteilt und verbüßt seine Strafe – kein Scherz – in einem Frauengefängnis. Nun ist Merager nicht repräsentativ für die Transcommunity. Trotzdem kann man anerkennen, dass es unsinnig ist, die Rechte von trans Personen gegen die Rechte von Frauen auszuspielen. Louis und Schwarzer argumentieren, dass Frauen immer häufiger sprachlich unsichtbar gemacht würden, um trans Menschen nicht auszugrenzen (etwa „gebärende Person“ statt Frau). Eine Frau ist mehr als die Fähigkeit zu menstruieren, aber warum sollte die Benennung des Frauseins eine Kränkung oder Gefährdung von trans Personen darstellen?

Brav nicken ist weiblich?

Schwarzers und Louis’ Text als transfeindlich zu framen, versperrt zudem die Chance, die erhellenden Interviews des Bandes zu lesen. Etwa das Gespräch mit Autor und Herausgeber Till Amelung. Der trans Mann erklärt im Interview, warum es für ihn wichtig war, den Weg einer vollständigen Transition zu gehen, inklusive der Entfernung von Brüsten und Gebärmutter: „Ich habe durchaus über die Möglichkeit nachgedacht, mich einfach nicht in die gängigen Geschlechterrollen einzufügen. Aber ich bin da tatsächlich über meinen Körper gestolpert. Ich habe mich wie abgeschnitten von mir gefühlt und hatte das Gefühl: Ich bin nicht richtig da.“

Louis interviewt auch Leandra Honegger, die fünfzig Jahre lang als Mann lebte. Honegger erklärt, warum sie es bevorzugt, sich als trans Frau und nicht als Frau zu bezeichnen: Schließlich könne ihre Sozialisation als Mann nicht geleugnet werden. Fassungslos macht eine Anekdote vom Stimmtraining mit einer Logopädin, die ihr beibringen will, wie eine richtige Frau zu sprechen: „Zum Beispiel hat sie erklärt, dass Frauen Sätze oft mit der Stimme nach oben beenden, wie eine Frage“, erzählt Honegger. „Aber als sie dann mit mir üben wollte, im Gespräch affirmativ zu nicken, weil Frauen das angeblich so machen, war es für mich vorbei. Ich dachte, ich spiele eine Scharade.“ So offenbart die Erfahrung einer trans Frau das Rollenspiel, das viele Frauen ihr Leben lang spielen. Wenn überhaupt, dann sollte Transsexualität aufregen, weil es zeigt, wie jeder Mensch täglich ein Geschlechterschauspiel performt. Aber was ist am Aufzeigen von derartigen Missständen so verwerflich?

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