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Erneuerbare Energien | Windkraft: Habeck zückt die Peitsche


Link [2022-06-17 22:31:23]



Der Klimaschutzminister von den Grünen hat jetzt einen Plan, um renitente Bundesländer wie Bayern zum Ausbau der Windkraft zu zwingen. Hält dieser Plan, was er verspricht?

Jetzt soll ein neues Akronym Bundesländer gefügig machen – diejenigen nämlich, die dem Ausbau der Windkraft in Deutschland im Weg stehen. Und damit nicht nur den Klima- und Energiezielen Deutschlands, sondern auch der „nationalen Sicherheit“, wie es aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter Robert Habeck (Grüne) heißt. Es hat gerade den Entwurf für das „WaLG“ vorgelegt, das „Windenergie an Land“-Gesetz.

Auf die Landesplaner in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen kommt deshalb einiges zu. Sie müssen in den kommenden vier Jahren die für Windkraft ausgewiesenen Flächen vervielfachen.

Der Plan ist aus einer gewissen Verzweiflung geboren: Während die Windenergie einerseits unverzichtbar für den Ausstieg aus Kohle- und Atomenergie ist, kommt sie andererseits kaum vom Fleck. Die zuständige Bundesnetzagentur schafft es seit Jahren nicht, die vergleichsweise bescheidenen Ausbauziele der schwarz-roten Vorgängerregierung zu erreichen. Die jüngste Ausschreibungsrunde im Mai war um ein Drittel unterzeichnet, hatte also zu wenig Bewerber. Es liegt nicht am Eifer der Projektierer – Windkraft ist wirtschaftlich äußerst lukrativ. Es sind die Bundesländer und deren Landesplanung, die zu wenig der sogenannten Vorranggebiete für die Windkraftnutzung in ihren Regionalplänen ausweisen. Und zum Zweiten die Genehmigungsbehörden, deren Bescheide fast immer von Windkraftgegnern beklagt werden – weil die Windprojekte Tier- oder Pflanzenarten gefährden sollen, was Gerichte dann umfangreich prüfen lassen. Ohne Flächen und rechtssichere Genehmigung kann aber kein Projektierer an den Ausschreibungen der Bundesnetzagentur teilnehmen.

Mehr Zubau, weniger Zeit

Der mangelhafte Ausbau der Windkraft ist weit mehr als nur ein ärgerliches Problem: Er bedroht nicht nur die Klimaschutzpläne Deutschlands und den Kohleausstieg bis Anfang der 2030er Jahre. Das Trödeln bei der Windkraft führt auch dazu, dass Deutschland länger auf Erdgas angewiesen sein wird und damit sowohl die Abhängigkeit von Russland bestehen bleibt als auch die Energiekosten hoch bleiben. Das steckt hinter dem Verweis auf die „nationale Sicherheit“. Die unwilligen Bundesländer verhindern damit auch, dass Deutschland sich als klimafreundliches Industrieland neu erfindet und energiehungrige Unternehmen hierzulande vom günstigen Windstrom profitieren. Sie stehen damit auch den Transformationsplänen der Regierung im Weg. Und ihrem zentralen Vorhaben „mehr Fortschritt wagen“. Um sich von all dem zu lösen, hatte die Bundesregierung vor einigen Monaten in einem ersten Schritt das sogenannte Osterpaket beschlossen, das derzeit durchs parlamentarische Verfahren läuft. Es sieht vor, die Windkraftleistung in Deutschland in den kommenden acht Jahren auf 115 Gigawatt zu verdoppeln. Gemessen an der Vergangenheit ist dies ein unvergleichlicher Kraftakt: Für die bisherigen knapp 57 Gigawatt Windkraft hat Deutschland rund 30 Jahre gebraucht, seit 2018 fand dabei kaum noch Zubau statt. Jetzt also das gleiche Prozedere in nur acht Jahren.

Für diese Mengen führt Klimaminister Habeck nun in einem zweiten Schritt den Befreiungsschlag bei den Genehmigungen. Das WaLG soll sicherstellen, dass es bis 2032 deutschlandweit genug Platz für Windparks gibt: Zwei Prozent der Landesfläche sollen es im Mittel sein. Übrigens ist das deutlich weniger, als sich die Bundesrepublik aktuell für Bergbauflächen, Mülldeponien und Industriebrachen leistet.

Die Länder werden schon im Jahr 2026 nachweisen müssen, dass sie den Anteil der Vorranggebiete für Windkraft deutlich erhöht haben. Für jedes Bundesland sieht das WaLG eigene Ziele vor – für Stadtstaaten niedrigere, für Flächenländer höhere. Thüringen beispielsweise muss dem Entwurf zufolge in vier Jahren erst 1,8 Prozent der Landesfläche für Windenergie bereitstellen, im Jahr 2032 dann 2,2 Prozent. Derzeit liegen die Werte in den vier Planungsregionen des Rot-Rot-Grün regierten Freistaates bei 0,4 bis 0,6 Prozent. Für Länder wie Niedersachsen oder Brandenburg wird es hingegen recht einfach, die 1,8 bis 2,2 Prozent zu erreichen, die das WaLG bis 2032 vorsieht; sie rangieren schon heute in dieser Größenordnung.

Davonlaufen können die Landesplaner dem WaLG nicht. Denn Habeck droht ihnen mit planerischem Wildwuchs, sollten sie nicht rasch nachlegen und neue Windflächen ausweisen: In Bundesländern, die ihre Ziele bis 2026 nicht erreichen, soll der Bau von Windkraftanlagen praktisch überall im planerischen Außenbereich möglich sein – grob gesagt dort, wo weit und breit kein gelbes Ortseingangsschild steht. In Bundesländern, die ihre Ziele verfehlen, würden auch Mindestabstände von Windkraftanlagen zur nächsten Wohnbebauung geschleift. Das wäre dann das Ende der Söder’schen 10-H-Regelung in Bayern oder der 1.000-Meter-Regelung in Sachsen.

Material für Wahlkämpfe

Einen zweiten Hebel setzt das WaLG beim Genehmigungsrecht an: Ist es bisher so, dass für jeden einzelnen Windpark aufwendige natur- und artenschutzrechtliche Gutachten vorgelegt werden müssen, so ermöglicht das WaLG künftig vorgenehmigte Flächen, sogenannte Go-to-Areas. Die Gutachten werden hierbei im Auftrag der Regional- und Landesplaner schon bei der Ausweisung der Gebiete angefertigt, nicht mehr von den Windprojektierern im Rahmen der Projektplanung. Weil parallel zum WaLG auch an einer Novelle des Naturschutzrechtes gearbeitet wird, die der Windenergie vielfach Vorrang gegenüber dem Artenschutz geben wird, könnte dadurch die Genehmigungsdauer für neue Windprojekte um Jahre sinken und künftig bei wenigen Monaten liegen.

So umgesetzt, schafft das WaLG zwar Tempo und Fläche. Und es hat das Potenzial, ein wirklich scharfes Schwert für den Ausbau der Windenergie zu werden. Es ist allerdings auch ein zweischneidiges, ist es doch ebenfalls geeignet zur grünen Selbstverletzung: Absehbar ist, dass in Sachsen, Thüringen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen große regionale und lokale Konflikte aufbrechen werden, für welche die grünen Minister in den dortigen Landesregierungen in Haftung genommen werden. Das WaLG wird deshalb sicher zum Gegenstand der kommenden Wahlkämpfe werden. Die erste Zielmarke 2026 liegt zudem nach den nächsten Bundestagswahlen. Man muss kein Hellseher sein, um zu prophezeien, dass die Windkraftgegner im Jahr 2025 auch auf Bundesebene gegen das WaLG kämpfen werden – mit dem Ziel, es als Teil der nächsten Bundesregierung zu kippen.

Habeck täte deshalb gut daran, nicht nur die Peitsche zu schwingen, sondern auch Zuckerbrot zu verteilen. Denn tatsächlich können neue Windprojekte die regionale Wirtschaft beflügeln, Bürger:innen im Umkreis der Windparks niedrige Energiekosten bescheren und Kommunen als Wohnort attraktiv machen. Beispiele dafür gibt es: So hat der Windprojektierer Enertrag in der Uckermark ein lokales Wärmenetz aufgebaut, das mit Wärme aus überschüssigem Windstrom gefüttert wird. Steigende Gaspreise interessieren dort nicht.

Das Unternehmen Westfalen-Wind aus Paderborn bietet einen Stromtarif an, der nicht auf den teuren Stromgroßhandelspreisen basiert, sondern auf den günstigen Stromgestehungskosten der Windkraftanlagen in der Region. Günstiger als in der ostwestfälischen Region ist Strom in Deutschland daher derzeit kaum zu bekommen. Im Hunsrück wiederum fahren mancherorts Busse umsonst – die Windkraft bezahlt’s. Günstiger grüner Strom aus der Region, damit lokale Arbeitsplätze entstehen können, die wiederum ländliche Regionen zum Blühen bringen – lokale Firmen und Windkraftprojektierer können vor Ort gemeinsam Überzeugungsarbeit für Windprojekte leisten – am besten mit Rückenwind aus Berlin.

Man muss nicht behaupten, dass Windkraftanlagen die Landschaft verschönern. Ihre Energie wird aber die Basis für künftigen Wohlstand sein und eine wirtschaftliche und klimafreundliche Alternative ist nicht in Sicht. Es liegt an Habeck und seinen Ministerkolleg:innen in Bund und Ländern, das zu erklären. Dann wird das WaLG die Landschaft über die nächsten Jahrzehnte prägen können.

Christoph Podewils hat als Journalist u.a. für die Berliner Zeitung und den Deutschlandfunk gearbeitet, später als Kommunikationschef von Agora Energiewende. Er ist Autor des Buches Deutschland unter Strom. Unsere Antwort auf die Klimakrise

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