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#EndEndoSilence | „Nimm doch ’ne Ibu!“


Link [2022-02-11 20:14:33]



Die Schmerzen sind chronisch, heftig und werden nicht ernst genommen: So geht es vielen Frauen, die unter Endometriose leiden. Denn die Krankheit ist kaum erforscht. Eine Petition soll das ändern

Mit 14 musste ich wegen extremer Schmerzen das erste Mal ins Krankenhaus. In den nächsten Jahren wurden meine Beschwerden schlimmer, jedoch bekam ich von medizinischem Personal immer wieder zu hören, dass solche Schmerzen „normal“ für Frauen seien. Mein Abitur konnte ich nur mit stärksten Schmerzmitteln schreiben. Schlafen und Essen waren ohne Opiate nicht mehr möglich. Der Name meiner Krankheit, Endometriose, stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet wörtlich: „ein abnormaler Zustand der Gebärmutter“. Endometriose ist eine extrem schmerzhafte chronische Krankheit, bei der Gewebe, das dem der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter wächst. Betroffene warten durchschnittlich zehn Jahre bis zur Diagnose. Neben Unfruchtbarkeit, Schmerzen und mangelhafter Versorgung müssen sie sich auch mit gesellschaftlichen Stigmata rumschlagen.

Bei mir wurde Endometriose vor zwei Jahren diagnostiziert. Seitdem versuche ich, die Krankheit, die mein Leben so sehr im Griff hat, zu verstehen. Ich kann nicht sagen, dass ich dabei erfolgreich bin. Also habe ich die Petition #EndEndoSilence initiiert, die mittlerweile fast 90.000 Menschen unterschrieben haben.

Als Betroffene habe ich über meine chronischen Schmerzen immer wieder die gleichen Sätze gehört: „Du übertreibst. Solche Schmerzen sind normal für eine Frau. Nimm doch einfach ’ne Ibuprofen.“ Schmerz ist laut der Weltschmerzorganisation ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer tatsächlichen oder drohenden Gewebeschädigung verknüpft ist. Bei Endometriose bedeutet das: aktives Gewebe an Stellen, wo es nicht sein sollte.

Der Druck, zu funktionieren

In einer Leistungsgesellschaft bietet es sich an, Schmerzen so lange wie möglich zu ignorieren, sie kleinzureden. Sie behindern uns dabei, „höher, schneller und weiter“ zu kommen. Wer so starke Schmerzen hat, dass sie nicht mehr durch Tabletten zu kontrollieren sind, lebt in einem Dilemma. Zwar führen Leistungsdruck und Stress nachweislich zu einem stärkeren Empfinden von Schmerzen. Gleichzeitig wird „das Funktionieren“ zu einer nicht zu bewältigenden Aufgabe.

Laut dem britischen Gesundheitsunternehmen Bupa sind 27 Prozent der Betroffenen wegen ihrer Endometriose schon mal bei einer Beförderung übergangen worden. 87 Prozent geben an, die Krankheit habe ihre langfristige finanzielle Situation verschlechtert. Von deutschen Krankenkassen wird Endometriose nicht als „lebenseinschränkende Krankheit“ anerkannt, von einem Grad der Behinderung und dem damit einhergehenden arbeitsrechtlichen Schutz können Erkrankte also oft nur träumen. Unsere Leistungsfähigkeit ist anscheinend so besorgniserregend, dass es auffällig viele Studien gibt, die sich mit dem „economic burden“ beschäftigen – also mit der ökonomischen Belastung, die wir Patient*innen für eine Volkswirtschaft darstellen. Und das, obwohl Endometriose ansonsten wenig erforscht ist.

Der „Ibu und Leistung“-Umgang mit chronischen Schmerzen ist besonders für Menschen ohne Diagnose kritisch. Sie können ihre Schmerzen nicht adäquat behandeln und greifen deshalb auf Schmerzmittel zurück. Von einer Wirkung von Schmerzmitteln spricht man bei einer Verminderung der Schmerzen ab mindestens 30 Prozent. Für Endometriose-Betroffene mindern Schmerztabletten das Leiden jedoch nur um zehn bis 15 Prozent. Zusätzlich belasten die Tabletten langfristig Nieren und Leber. Der „Gewöhnungseffekt“ sorgt dafür, dass man trotzdem immer höhere Dosen einnehmen muss.

Wie mit den Schmerzen umgehen?

Interessant ist insofern, wie diagnostizierte Betroffene mit den Schmerzen abseits der klassischen Behandlungsoptionen umgehen. Bauchspiegelungen und Hormontherapien reduzieren die Schmerzen oft deutlich. Aber „reduzieren“ bedeutet eben nicht, dass sie verschwinden. Außerdem sind diese Optionen mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden und Alternativen schlecht erforscht. Wenn ich also andere Betroffenen frage, wie sie mit den verbleibenden Schmerzen umgehen, erhalte ich keine einheitliche Antwort. Dennoch haben die Geschichten viele Gemeinsamkeiten: Die allermeisten berichten, dass der Weg bis zu einem sicheren Umgang mit den Schmerzen eine Reise mit Höhen und Tiefen war. Verschiedene Ernährungsweisen und Bewegungsformen werden erprobt und Stressquellen reduziert. Der erfolgreiche Umgang mit Schmerzen hat oft mit einer ausgeglichenen Lebensart zu tun. Das Reduzieren äußerer Einflüsse scheint der einzige Weg zu sein, mit dem das Spannungsverhältnis zwischen Leistung und chronischen Schmerzen entzerrt werden kann. Man könnte diesen Weg mit dem Begriff „Resonanz“ beschreiben.

Wenn Krankheiten sichtbar sind, werden sie eher anerkannt. Nicht sichtbaren Leidensformen wie Endometriose (oder psychischen Krankheiten) fehlt diese Anerkennung regelmäßig. Fast alle Betroffenen erzählen, dass sie sich mit ihren Schmerzen von Ärzt*innen und Gesellschaft alleingelassen fühlen. Es ist allgemein bekannt, dass Frauen zwar häufiger als Männer an chronischen Schmerzen leiden, ihre Schmerzen aber weniger ernst genommen werden. Die feministische Autorin Anushay Hossain nennt das den „Pain Gap“. Eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigt, dass Begriffe wie „sensibel“, „simulierend“, „klagend“ und „hysterisch“ häufiger auf Schmerzberichte von Frauen angewendet werden. Eine im Jahr 2020 durchgeführte Umfrage unter Menschen mit Endometriose ergab, dass diese Assoziation von gynäkologischen Schmerzen mit psychischen Beschwerden in 50 Prozent der Fälle zu einer verzögerten oder verpassten Diagnose beiträgt.

Diese unterschiedliche Behandlung von Frauen und Männern beschränkt sich nicht auf die Anerkennung der Schmerzen. Noch immer basiert ein Großteil der medizinischen Erkenntnisse auf Studien, die ausschließlich an weißen cis Männern durchgeführt wurden. So haben die US-amerikanischen „National Institutes of Health“ (NIH) die Aufnahme von weiblichen Gesundheitsdaten erst im Jahr 1993 zur Voraussetzung für klinische Studien gemacht. Und erst seit 2021 verpflichtet die EU-Kommission zur Analyse von Geschlecht und Gender in der medizinischen Forschung.

Keinen Cent für die Forschung

Aus diesem Grund ist es bis heute kaum möglich, adäquate Wege der Medikation festzumachen. Frauen verstoffwechseln Medikamente anders als Männer. Doch Datensätze, mit denen im Medizinstudium gearbeitet wird, auf denen Ärzt*innen Diagnosen aufbauen und mit denen chronische Krankheiten behandelt und sensible Psychopharmaka verschrieben werden, sind noch immer von dem beschriebenen „Gender Bias“ betroffen. Und während sich das nur langsam ändert, werden die Beschwerden von Frauen weiter kleingeredet.

Seit der Antike kennt man die als „Hysterie“ bekannte Krankheit. Jedoch wurde diese lange ausschließlich bei Frauen diagnostiziert. Das Wort „Hysterie“ stammt von dem altgriechischen uστέρα hystéra, was sich mit „Gebärmutter“ übersetzen lässt. Als Grund für die Krankheit galt, dass der Uterus beim Ausbleiben von Kindern im Körper „umherirre“. Heute vertreten US-amerikanische Ärzte die Hypothese, dass der abwertende Begriff der „Hysterie“ zur damaligen Zeit unbewusst auch undiagnostizierte Endometriose gemeint haben könnte. Erst 1998 wurde die Klitoris zum ersten Mal anatomisch untersucht. Zwei Jahre zuvor wurden Schafe geklont, und 29 Jahre zuvor liefen bereits Männer über den Mond. Endometriose ist die absolute Zuspitzung dieses Gender Health Gap. Alles deutet darauf hin, dass die langwierige Diagnostik von Endometriose mit dieser Lücke kausal zusammenhängt. Dabei betrifft die Krankheit mehr Menschen als Diabetes Typ 2, nämlich schätzungsweise acht bis 15 Prozent der deutschen Bevölkerung, die mit einem Uterus geboren wird. Weltweit ist jede zehnte Frau betroffen. Trotz dieser Häufigkeit ist die Endometriose-Forschung maßlos unterfinanziert: Die Bundesregierung investierte in den vergangenen sechs Jahren keinen einzigen Cent in sie!

Für eine Diagnose braucht es eine gründliche und langwierige Anamnese und eine Art „trial and error“ verschiedenster Untersuchungen – vom Ultraschall bis hin zur Bauchspiegelung. Als ich mit 14 Jahren das erste Mal wegen meiner Unterleibsschmerzen ins Krankenhaus musste, entdeckte der Arzt im Ultraschall leichte Abweichungen. Nichts Dramatisches, aber es war ein Hinweis auf meine Endometriose. Das hat der Arzt natürlich nicht erkannt und mir stattdessen fälschlicherweise gesagt, dass „es mit dem Kinderkriegen wohl schwierig wird“. Dieser Arzt war weder Gynäkologe noch sonst wie dafür qualifiziert, nach einem zweiminütigen Ultraschall eine solche Bewertung zu treffen. Ich schrieb daraufhin viele Seiten lang in mein Tagebuch: über die Angst, nie eine „richtige Frau“ sein zu können. Gleichzeitig hatte ich wegen des unbeholfenen Umgangs des Arztes mit meinen Unterleibsschmerzen das Gefühl, ich dürfe über meine Beschwerden nicht offen reden. Menstruationsbeschwerden sind immer noch stigmatisiert.

Deshalb überraschte mich der französische Präsident Emmanuel Macron, als er sich kürzlich öffentlich positionierte und über Endometriose aufklärte. Er nannte die Krankheit ein „gesellschaftliches Problem“ und kündigte eine bessere Versorgung der Betroffenen an. Die Ursache dafür, dass meine Krankheit so schwierig zu verstehen ist, liegt vor allem darin, dass sie kaum erforscht ist. Auch in Deutschland müsste die Regierung die Problematik anerkennen und mit einer nationalen Aufklärungskampagne und Forschungsgeldern gegensteuern. Vielleicht erreicht meine Petition ja Gesundheitsminister Karl Lauterbach?

Info

Die Petition ist im Internet bei change.org zu finden

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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