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Doku | Film über die AfD: Realpolitischer Alltag am rechten Rand


Link [2022-06-17 22:31:23]



Simon Brückner hat zwei Jahre lang die AfD beobachtet. In „Eine deutsche Partei“ will er gänzlich unpopulistisch vom Populismus erzählen. Funktioniert das?

Ein Dokumentarfilm im Stile des Direct Cinema über die AfD? Keine Frage, Regisseur Simon Brückner begibt sich mit Eine deutsche Partei aufs Glatteis und provoziert damit die bekannten Diskussionen: Soll den rechtsnationalen Populisten überhaupt eine Bühne geboten werden, auf der sie ihre demokratiefeindlichen, homophoben und rassistischen Dummheiten kundtun können? Ähnliche Fragen mussten sich etwa auch Pablo Ben-Yakov und André Krummel gefallen lassen, die in ihrem bei DOK Leipzig ausgezeichneten und kontrovers diskutierten Lord of the Toys den mit rechts schwanger gehenden Influencer Max „Adlersson“ Herzberg unkommentiert porträtierten.

Eine deutsche Partei ist eine bewusst unaufgeregt gehaltene Bestandsaufnahme. Brückner, der selbst auch die Kamera führt, ist nah dran an Funktionären und Parteimitgliedern und agiert dabei mit dem Blick des Soziologen. Es habe, erzählt der Regisseur im Interview, sich die Absicht herauskristallisiert, einen „gänzlich unpopulistischen Film über Populisten zu drehen“. Das trifft es ziemlich gut, wobei der Film, der die rund 500 Stunden des von 2019 bis 2021 gedrehten Rohmaterials auf 110 Minuten verdichtet, freilich kraft seiner Bilder mal mehr, mal weniger direkt politisch Stellung bezieht.

Eingebetteter Medieninhalt

Manchmal reicht eine Szene, um die Zerrissenheit der Partei auf den Punkt zu bringen. Während etwa die Parteikollegen in Plexiglaskabinen über die Corona-Maßnahmen herziehen, hält Brückners Kamera lange auf denjenigen drauf, der immer heftiger den Kopf schüttelt ob der irrsinnigen Aussagen seiner Genossen.

Dann wieder gibt es Episoden, in denen sich die Partei, wie man so schön sagt, selbst vorführt. Gegen Ende des Films ist ein AfD-Team in Bosnien und Herzegowina unterwegs. Am Geflüchtetenlager Lipa kriegen es die scheinbar in ihrer Welt Gefangenen mit der Angst zu tun, als 150 Meter entfernt drei „Migranten“ zu sehen sind. In der nahe gelegenen Stadt wird Aaron Kimmig, Vorstandsmitglied der vom Verfassungsschutz beobachteten Jungen Alternative Brandenburg, vorgeschickt, um Geflüchtete zu interviewen und ein Foto von ihnen zu schießen. Unter dem Deckmantel der „humanitären Sorge“ erfährt Kimmig, dass der junge Mann vor sechs Jahren aus Afghanistan floh und nach Deutschland will. Als die AfDler sich schließlich mit internationalen Rechten treffen, nicken sie wie Wackeldackel, als die von „Pushbacks wegen der Geflüchteten aus Afrika“ sprechen und davon, dass die europäische Schuldkultur abzuschaffen sei.

Die Träume der Gemäßigten

Ohne sich auf die A-Prominenz der Partei zu konzentrieren, entwirft Brückner mit Eindrücken aus Bundes-, Landes- und Bezirksebene das nüchterne Bild einer zerrissenen Partei: hier die (vermeintlich) Moderaten um Frank-Christian Hansel, der in der Berliner AfD durchstarten will, oder um Georg Pazderski, dort die Extremen vom Flügel oder Aaron Kimmig und Anna Leisten, die für die ebenfalls extreme Junge Alternative herumwirbeln. In sechs Kapiteln heftet sich Brückners Kamera lose an die Fersen von Protagonisten in unterschiedlichen Positionen, wobei diese von ihm weder vorgestellt noch fixiert werden. Sie sind – und alles andere wäre auch schwierig – nur Vehikel, Stellschrauben, aus denen sich nach und nach ein innerparteiliches filmisches Panoptikum zusammensetzt.

Eine deutsche Partei zeigt den realpolitischen Alltag am rechtspopulistischen Rand auf dem Weg nach noch weiter rechts: von verschiedenen Parteitagen über Bezirksfraktionssitzungen, die Rede des Bundessprechers Jörg Meuthen, den JA-Straßenwahlkampf im brandenburgischen Zehdenick bis zu Corona-Leugner-Demos. Drei Monate nach Drehschluss, so ist am Ende zu lesen, hat Meuthen die Partei mit der Begründung verlassen, dass der rechte Flügel gewonnen habe. Gefährlich sind sie alle, davon erzählt Brückners Film trotz seiner Zurückhaltung, die Parolen brüllenden Extremen ebenso wie die von Koalitionen mit bürgerlich-demokratischen Parteien träumenden Gemäßigteren.

Brückner erzählt nichts wirklich Neues. Bekannt ist ebenso die in vielen Momenten mitschwingende Medienfeindlichkeit, „auch so eine Propagandaschleuder“ nennt ein Guide das ARD-Hauptstadtstudio bei einer Führung durch die Parteiräume in Berlin. Der Film zeigt, wie die AfD eine eigene Weltsicht „gegen den Mainstream“ zusammenzimmert, etwa, wenn bei einer Fraktionsdebatte über einen Antrag diskutiert wird, der vorsieht, dass zum Jahrestag des Grundgesetzes jedes Klassenzimmer mit ebenjenem und einer Deutschlandflagge bestückt werden solle. Manche widersprechen, weil man ja selbst nichts von Grundgesetzartikeln zur Menschenwürde oder zum Asyl halte. Einspruch, denn der Plan sei ja gewesen, es „medientechnisch auszuschlachten“, wenn die anderen Parteien den Antrag ablehnen und damit das Grundgesetz.

Neu hingegen ist die Emotionslosigkeit und Neutralität, mit der sich Brückner der AfD nähert. Es ist löblich, dass und vor allem mit welch zurückhaltenden Mitteln der Filmemacher einen sachlichen Diskurs fördern will, nach dem Motto: Wegschauen oder Ausblenden ist keine Lösung. Nur – und hier soll weder die Freiheit der Kunst noch die Rolle des Kinos als Demokratie stärkende Institution infrage gestellt werden: Will man Weidel, Gauland und Höcke, die am Rande auftauchen, und diese ganzen anderen AfD-Nasen wirklich im Kino sehen? Uff!

Info

Eine deutsche Partei Simon Brückner Deutschland 2022, 110 Minuten

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