Breaking News >> News >> Der Freitag


Debatte | Zwischen Hass und Karikatur: Reden Männer über Männlichkeit, wird das Klima toxisch


Link [2022-06-18 11:24:58]



Wenn Autoren sich über Männlichkeit äußern, erfahren sie oft massive Ablehnung. Warum ist das so? Versuch einer Erklärung anhand der Debatte um Tobias Haberls Buch „Der gekränkte Mann“

Das Reden über Männlichkeit ist in den vergangenen Jahren so problematisch geworden wie nie zuvor. Obwohl es die sogenannte Männlichkeitsforschung bereits seit den 1990ern gibt, ist die Anzahl populärer Literatur zum Thema seit #metoo noch einmal rasant angestiegen. Das Spektrum reicht dabei von selbstkritischen Abrechnungen über Versuche einer „modernen“ Definition von Männlichkeit bis hin zu emphatischen Apologien traditioneller Maskulinität: Während etwa Sebastian Tippe mit seinem Buch Toxische Männlichkeit (2021) „schädliche“ Verhaltensweisen benennt und Autoren wie J. J. Bola darum ringen, Männlichkeit von alten Konnotationen zu befreien, gibt es auch Manifeste für eine Rehabilitierung „männlicher“ Werte. So fordert der Paartherapeut Björn Thorsten Leimbach in Männlichkeit leben, dass Männer sich aus der Abhängigkeit von Frauen lösen und auf „maskuline“ Qualitäten wie „Stärke“, „Ehrlichkeit“, „Mut“, „Selbstdisziplin“ besinnen sollten.

Wie schwierig es ist, in den erbitterten Auseinandersetzungen um toxische und traditionelle Männlichkeit eine vermittelnde Position einzunehmen, konnte man vor Kurzem noch einmal an der Debatte über Tobias Haberls Buch Der gekränkte Mann beobachten. In einem aktualisierten Vorabdruck im Spiegel stellte Haberl anlässlich des Ukraine-Kriegs die Frage, ob die Verurteilung sämtlicher als „männlich“ konnotierter Eigenschaften nicht dazu führe, dass man dem Gebaren von Diktatoren wie Wladimir Putin kaum noch etwas entgegenzusetzen habe. Wünschenswert, so Haberl, sei weniger ein apodiktisches Entweder/Oder, sondern ein „Amalgam aus Tradition und Moderne: warmherzig, mutig, verständnisvoll und entschlossen“.

Auf Twitter ergoss sich nach dem Erscheinen des Artikels ein Shitstorm über den Autor. Weil dabei vor allem die frei lesbaren Passagen geteilt wurden, konnte Haberl ohne eine intensivere Auseinandersetzung vorgeworfen werden, für das „Wiedererstarken“ eines „kriegerischen Archetyps“ und ein veraltetes Ideal männlicher Dominanz einzutreten.

Autor Tobias Haberl

Foto: Olaf Unverzart/Piper Verlag

Dieser Vorwurf erweist sich, wenn man Der gekränkte Mann liest, als abwegig. Haberl präsentiert sich als Vertreter eines traditionellen Egalitätsfeminismus, der „für gleiche Chancen, gleiche Rechte, gleiches Einkommen“ eintritt. Damit verbindet sich einerseits die Kritik an einem „Label“-Feminismus, der das Bekenntnis zur Diversität und Gleichberechtigung lediglich nur als Marketinginstrument einsetzt. Andererseits sollen nicht alle Differenzen zwischen den Geschlechtern als bloßes Konstrukt verworfen werden. Dabei geht es Haberl weniger um ein Insistieren auf biologischen Unterschieden, als darum, nicht alle mit „Männlichkeit“ assoziierten Attribute reflexhaft als toxisch abzuwerten.

Er trägt gepunktete Socken

Mit diesem Plädoyer für Toleranz adressiert Der gekränkte Mann indirekt eine Problematik in den Auseinandersetzungen um Männlichkeit, die nicht zuletzt mit der identitätspolitischen Wende des Feminismus zusammenhängt. In den 90er Jahren wurde die Frage, was „weiblich“ oder „männlich“ heißt, erneut zur Diskussion gestellt, indem nicht nur das soziale, sondern auch das biologische Geschlecht zu einem Konstrukt erklärt wurde. Der Unterschied zwischen Mann und Frau wurde abgelöst durch die Vorstellung einer Pluralität der Geschlechter. Das führte aber nicht zu einer Infragestellung männlicher Hegemonie. Die Differenz zwischen Mann und Frau wurde gleichermaßen biologisch negiert und soziologisch postuliert. Daraus aber ergibt sich in der Männlichkeitsdebatte eine grundlegend andere Bewertung von Sprecherpositionen. Im Grunde handelt es sich um eine Aporie, die alle identitätspolitischen Bewegungen teilen: Männer, die auf der Differenz zwischen Männern und Frauen beharren, stehen schnell im Verdacht, reaktionär zu sein. Für Personen, die sich als Opfer männlicher Dominanz begreifen, ist es demgegenüber geradezu notwendig, immer wieder auf von Männern nicht nachvollziehbare Diskriminierungserfahrung zu insistieren.

Dies erklärt zumindest teilweise die aggressiven und ablehnenden Reaktionen, die Männer erfahren, die sich über Männlichkeit äußern. Dass Haberls Buch als einseitige Parteinahme für ein archaisches Männlichkeitsbild gedeutet wurde, hängt sicher auch damit zusammen, dass der Autor einen polemischen Grundton pflegt. Das Bild des „modernen“ Manns gerät bei ihm mitunter zur Karikatur: Es wird versinnbildlicht durch den jungen Familienvater, der mit dem Lastenrad durch das Münchener Glockenbachviertel fährt, gepunktete Socken trägt und in seiner Freizeit Bärlauchpesto zubereitet. Für derartige Zuspitzungen erntete Haberl in den sozialen Medien viel Spott.

Versucht man hingegen, in dem Bild mehr zu sehen als ein Klischee, dann kann man es auch als Hinweis auf die regionale und generationelle Gebundenheit von Diskursen über Männlichkeit verstehen. Haberl schreibt: „Es ist tatsächlich so, dass ich im Bayerischen Wald, wo ich aufgewachsen bin, als fortschrittlich und in München, wo ich wohne, als konservativ wahrgenommen werde.“ Sein Buch kann als Versuch gelesen werden, die Bewohner solcher unterschiedlicher Welten zum gegenseitigen Verständnis und zur Toleranz aufzufordern. Vor diesem Hintergrund ist es fast schon ironisch, dass der Autor exakt jene Form der Ablehnung erfahren hat, gegen die er anschreibt. Die Vielstimmigkeit, die in den Beiträgen zur Männlichkeitsdebatte der vergangenen Jahre zum Ausdruck kommt, hat bislang leider kaum dazu geführt, dass es eine größere Aufgeschlossenheit für unterschiedliche Vorstellungen vom Geschlecht sowie die damit verbundenen Selbstentwürfe gibt. Dabei müsste eigentlich genau das die Konsequenz aus den Einsichten des poststrukturalistischen Feminismus sein: Niemandem pauschal das Gespräch zu verweigern.

Info

Der gekränkte Mann: Verteidigung eines Auslaufmodells Tobias Haberl Piper 2022, 256 S., 22 €

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



Most Read

2024-09-18 15:45:59