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Corona-Humor | Ein Virus kennt keinen Spaß


Link [2022-02-26 11:38:41]



Warum Jan Böhmermann ein guter Witz gelungen ist – über die Grenzen unserer Lachkultur in Zeiten der Pandemie

Jetzt hat er es halt wieder getan, der Böhmermann: Einen Witz rausgehauen, über den sich die halbe Nation aufregen kann, während die andere Hälfte mit Flaschenbier in die Kunstschnee-Überwachungs-Welten von Peking glotzt. Wie war das noch? Kinder mit Ratten vergleichen? Oder doch eine Politik attackieren, die Kinder wie Ratten behandelt? Egal. Es ist jedenfalls empörend, oder die Empörung ist empörend, und es ist nicht kultiviert und nicht gesund, über so was zu lachen. Und es ist ein Symptom dafür, wie schwer man sich tut, in der Pandemie-Krise zu lachen.

Dabei erklären uns doch „Expert*innen“ unentwegt, wie wichtig und heilsam es sei, das Lachen, gerade jetzt. Da gibt es, nur zum Beispiel, eine Telefonleitung, wo man seinen Corona-Frust durch Lach-Yoga vertreiben kann. Es wird da also ohne Grund gelacht, weshalb sich auch niemand empören kann. Höchstens wenn es nichts hilft. Andere Expert*innen erklären uns, wie wichtig das Lachen für Gemeinschaftssinn und Problem-Entlastung ist. Bloß dumm, wenn nahezu jeder Corona-Witz genau das Gegenteil bewirkt, nämlich Konflikte schärft und Probleme vergrößert. Haben Sie in jüngster Zeit einen Corona-Witz gehört, über den Sie herzhaft, gemeinschaftlich und befreiend lachen konnten?

Gutes und böses Lachen

Mit unserer Lachkultur verhält es sich wie mit anderen sozialen und kulturellen Subsystemen: Die Krise bringt gnadenlos ans Licht, wie suboptimal sie funktioniert.

Für die Menschen, die sich einer humanistischen, liberalen, demokratischen und aufgeklärten Kultur zugehörig fühlen, gehört es – „gefühlt“, wie man so sagt – zur Sozialisation, zwischen einem guten und einem bösen Lachen unterscheiden zu lernen. Gut ist das „befreiende“ Lachen, das Lachen des Volkes über den Fürsten (nackt oder angezogen), das Lachen des Bürgers und der Bürgerin über das Verdeckte, Verbotene, Verdrängte und „Tabuisierte“, das Lachen des Kindes über die verrückten Erwachsenen, der Schüler über die Lehrer, das Lachen über Tücken und Widersprüche von Sprachen, Zeichen und Codes. Böse hingegen ist das Lachen der Mächtigen über ihre Opfer, das Lachen der Banker über die Menschen, denen sie das Geld aus den Taschen gezogen haben, das Lachen der Pädagogen über den unrettbar doofen Nachwuchs, das Lachen der Gewinner über die Verlierer, der Kolonisatoren über die Kolonisierten, und das schrecklichste Lachen ist jenes der Täter, das Klaus Theweleit als unabdingbare Begleiterscheinung des Terrors ansieht.

So entsteht durch die Fähigkeit, richtiges von falschem und gutes von bösem Lachen zu unterscheiden, mit etwas Glück eine „demokratische Lachkultur“, die einen Bogen spannt zwischen der progressiven Fraktion des Kleinbürgertums (das kritisch-politische Kabarett) und der reaktionären Fraktion (der organisierte Mainstream-Karneval zum Beispiel). Das Ganze muss allerdings noch in marktkonforme Einheiten gebracht werden. Denn neben dem Gesetz und der „Mehrheit“ entscheidet am Ende auch der Markt, worüber man lachen soll oder darf und worüber nicht.

Unsere Lachkultur steckt ja nicht erst seit Corona in einer Krise. Es sind wohl fünf Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten, die einer gemeinsamen, von Psycholog*innen, Soziolog*innen und Literaturwissenschaftler*innen als durchaus hilfreich erachteten Lachkultur entgegenwirken:

1. Der Aufstieg halbfaschistischer Horrorclowns in die Regierungen. Berlusconi, Trump, Johnson, Kurz/Strache … Sie alle betraten die politische Bühne als Gespenster der kühnsten Satiren, die man über die Verbindung von Macht und Persönlichkeit zu entwerfen wagte.

2. Die rechts-gramscianische Übernahme der Konzepte von kultureller Hegemonie hat eine Reihe von Elementen entwertet und ins Gegenteil verdreht, die sich aus der Verbindung von Gesellschaftskritik und Lachkultur ergaben. Wenn noch die furchtbarste faschistische Mordfantasie als „Satire“ legitimiert werden kann und sogar die öffentlich-rechtlichen Anstalten sich ihre Rechtsaußen als „Comedians“ leisten, verliert der Einsatz für die Freiheit der Satire seinen moralischen Sinn.

3. Mit den Anforderungen der Political Correctness, der sprachlichen Wokeness, der Cancel Culture, der Gender-Gerechtigkeit und so weiter hat sich der progressive Teil des Liberalismus zwar eine durchaus bedeutende Position in den kulturellen Kämpfen der Postmoderne geschaffen, zugleich aber auch eine Falle für sich selbst errichtet. Während man auf der linken Seite immer vorsichtiger werden muss beim Witzemachen, weil man einander, seiner Sprache und schließlich sich selbst nicht mehr recht trauen kann, und seinem Lachen schon gar nicht, geht es auf der rechten Seite umso ungenierter zu. Bis in die Mitte hinein ist „politisch inkorrekt“ nun ein Gütesiegel für entspannte Witzigkeit.

4. Die Lachkultur barbarisiert sich nicht zuletzt in den sozialen Netzwerken der Hates, Fakes, Trolls und Likes.

5. Von der Zone, in der sich Widersprüche, Konfrontationen und Ungleichzeitigkeiten moderieren lassen (das Ventil, die Distanzierung, die Heilung), ist die Lachkultur zum Schlachtfeld der auseinanderdriftenden Gesellschaftsteile geworden (als würde man nur auf Gelegenheiten für Kränkung, Beleidigt-Sein und Empörung warten).

Und nun also: die Corona-Krise, die eigentlich keine Krise mehr ist, sondern ein krisenhafter Dauerzustand. Dass die Lachkultur zu ihrer Bewältigung so herzlich wenig beigetragen hat, das hat zunächst mit dem oben beschriebenen beklagenswerten Zustand zu tun. Es hat aber auch sehr praktische Ursachen.

Eine „gute“ Lachkultur lebt von ihrer Erscheinung im öffentlichen Raum und von der auch körperlichen Nähe der Lachenden. Aber Corona hat das Lachen gerade aus diesen Räumen der Gemeinschaftlichkeit und in die Medien und Netze verbannt. Je ansteckender das Virus, umso weniger ansteckend kann Lachen sein. Und lachende Nähe finden nur noch diejenigen, die sich gegen eine gesellschaftliche Solidarität entschieden haben. Hinzu kommt, dass die Pandemie der klassischen Grammatik der Komik widerspricht: Über wen oder was soll ich lachen, wen oder was durch Komik entlarven, welches Verborgene oder Verdrängte lachend zur Sprache bringen? Entschlusslose oder forsche Politiker? Expertenrunden? Hamsterkäufe? Maskenwitze? „Gute“ Pandemie-Witze sind zumeist Metawitze; sie machen sich darüber lustig, dass an einer Virus-Infektion einfach nichts Komisches ist.

Wo keine Hoffnung ist

Und dann gilt für die Bewegung der militanten Impfgegner und „Querdenker“, die sich bereitwillig mit neofaschistischen und sektiererischen Bewegungen gemein machen, in etwa, was über die rechtspopulistischen Politiker zu sagen war: Wären sie nicht so furchtbar real, sie wären furchtbar komisch. Eine satirische Übertreibung ist so wenig hilfreich wie ein Aufruf zur Faktizität. Der montägliche Umzug der Corona-Leugner durch mein Städtchen, als wäre ein lokaler Karnevalsverein hinter ein paar Nazi-Trommlern unterwegs in einen Fellini-Film, gehörte zu den wenigen Dingen, die mich in der Krise wirklich zum Lachen reizten. Es war nur kein befreiendes, kein heilsames Lachen.

Wenn man aber im Lachen einen Abstand von seinen/unseren Problemen gewinnt, wie uns wiederum Expert*innen erklären (aber offen gesagt: Experten-Witze sind auch nicht abendfüllend), dann muss es wohl auch einen Schimmer der Hoffnung enthalten. Man befreit sich von etwas, um Kraft für etwas Neues zu sammeln. Wo es keine Hoffnung gibt, ist das Lachen nur noch Ausdruck der Verzweiflung. Müsste man also lachen bei der Nachricht, dass die Reichen in der Pandemie ihren Reichtum verdoppelten, die Armen aber umso mehr wurden? Lachen darüber, dass das Virus dem Online-Kapitalismus so hilfreich war? Lachen über Bürokratien, die von Impfkontrollen, Corona-Hilfen oder der Ausstattung von Schulen mit Luftfiltern heillos überfordert sind? Lachen darüber, dass nicht einmal eine solche Krise zu einer anständigen Behandlung der Menschen in pflegerischen Berufen führt? Über Bankengewinne und Menschenverluste? Das Lachen bleibt einem, wie man so sagt, im Halse stecken.

Die Corona-Krise hat unsere Humor-Krise nicht ausgelöst, wohl aber verschärft und auf jeden Fall sehr, sehr sichtbar gemacht. Herrn Böhmermann ist wieder ein guter Witz gelungen. Über den Zustand unserer Lachkultur.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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