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Chile | Die Generalität salutiert


Link [2022-02-08 15:13:56]



Maya Fernández, Enkelin des einstigen Präsidenten Salvador Allende, wird neue Verteidigungsministerin. Ein Porträt

Sie war 21, als sie 1992 zusammen mit dem knapp drei Jahre jüngeren Bruder nach Chile zurückkehrte. Ihr Spanisch trug einen stark kubanischen Akzent, der jedoch bald der einheimischen Aussprache weichen sollte. Ohnehin legten Chiles hohe Militärs ihren Akzent auf den Familiennamen – und der war politisch. Denn Maya Fernández ist die Enkelin des sozialistischen, 1973 durch einen von den USA geförderten Militärputsch gestürzten Präsidenten Salvador Allende, der seit 1970 eine Volksfront-Regierung führte.

Fast 50 Jahre sind seitdem vergangen, doch für den Oberst a. D., Jaime Manuel Ojeda Torrent, nicht genug. Der 2018 in der Causa „Todeskarawane“ wegen der Entführung und Ermordung von mindestens 15 Anhängern Allendes verurteilte Pinochet-Offizier besaß die Frechheit, den designierten linken Präsidenten Gabriel Boric aufzufordern, die Nominierung von Maya Fernández als Verteidigungsministerin zurückzunehmen. Die Ernennung sei eine „Schande“ für die Streitkräfte, so der ultrarechte Obrist. Die Personalie zeige einen „kubanischen Januskopf“. Zu diesem Affront kam es wenige Tage vor dem ersten Treffen Borics mit den Kommandanten der drei Waffengattungen. Danach herrschte Schweigen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Post-Pinochet-Generalität, an deren Kasernenwänden der Diktator nach wie vor mit Porträts geehrt wird, den Nachkommen von Pinochet-Opfern notgedrungen salutiert. Sie tat es bereits gegenüber Michelle Bachelet, deren Vater, der Luftwaffengeneral Alberto Bachelet, wegen seiner Treue zu Allende von den eigenen Leuten 1974 im Gefängnis umgebracht wurde.

Die Familie suchte und fand danach Exil in der DDR, wo Bachelet Medizin studierte und – wieder in Chile – als Kinderärztin arbeitete. Als Verteidigungsministerin von 2002 bis 2005 erwarb sie sich rechts wie links hohe Popularität, die ihr 2006 eine erste Präsidentschaft sicherte. Sie verurteilte zwar die Verbrechen des Pinochet-Regimes, trieb jedoch beim Kauf deutscher Leopard-2-Panzer, von spanischen U-Booten und US-Kampfjets die Aufrüstung voran und erntete das Lob der Uniformierten. So viel zur Vorgeschichte der Nominierung von Maya Fernández. Ein rein symbolischer Vorgang? Soll sie dem Beispiel Bachelets folgen? Oder wird sie die seit dem Ende der Pinochet-Diktatur im März 1990 niemals stattgefundene Demokratisierung und Säuberung der von Korruptionsskandalen geschüttelten Streitkräfte endlich durchsetzen?

Die politische Karriere der Allende-Enkelin

Die 51-jährige Allende-Enkelin, gelernte Biologin und Veterinärin, war seit 2014 erfolgreich Deputierte der Sozialistischen Partei in der Abgeordnetenkammer, der sie 2018/19 als Präsidentin vorstand. Trotz ihrer Mitarbeit im Verteidigungsausschuss der Legislative fehlt ihr bislang die militärpolitische Vorbildung, aber sie hat das Zeug zur politischen Wende. Jahrelang lag sie im Clinch mit dem schillernden Genossen Álvaro Elizalde und kämpfte um den Parteivorsitz, den sie als Führerin des linken Flügels der Sozialisten 2019 verlor. Als das ihren Einfluss minderte, näherte sie sich Gabriel Borics Frente Amplio immer mehr an.

Maya Fernández Allendes Biografie ist geprägt von unermesslichen Verlusten, bitterem Schmerz, doch ebenso erstaunlicher Widerstandskraft. Während ihrer Kindheit in Kuba ordnete Fidel Castro zu Ehren ihres toten Großvaters die Änderung der Reihenfolge des Familiennamens – Fernández Allende – an. Somit zeichneten Maya und ihr in Kuba geborener Bruder Alejandro bis zu ihrer Rückkehr nach Chile als Allende Fernández. Der 2016 in Kuba verstorbene Vater von Maya und Alejandro war Luis Fernández Oña, so der Deckname des Geheimagenten Rodolfo Gallart Grau, der seit 1970 als Diplomat in Chile akkreditiert war. Mayas Mutter war Beatriz „Tati“ Allende, eine der drei Töchter Salvador Allendes und Hortensia „Tencha“ Bussis. Die an der Universität Concepción ausgebildete Ärztin organisierte als Anhängerin Che Guevaras nach dessen Tod und dem Scheitern seiner Guerilla in Bolivien die Evakuierung der Überlebenden und erhielt Ende der 1960er Jahre in Kuba selbst eine militärische Ausbildung.

Mit Miria „Payita“ Contreras, der Geliebten Salvador Allendes, gehörte „Tati“ zum engeren Beraterkreis des Präsidenten und verhandelte für dessen Regierung mit der radikalen Linken. Dazu zählte die vom ehemaligen Kommilitonen Miguel Enríquez gegründete Bewegung der Revolutionären Linken Chiles (MIR), aus der sich die Mehrheit von Allendes Leibgarde (GAP) rekrutierte. „Tati“ und Fernández Oña heirateten 1971 und taten viel für die erst 1970 wiederhergestellten Beziehungen zwischen Santiago und Havanna.

Am 11. September 1973, dem Tag des Staatsstreichs von Augusto Pinochet, beharrten die hochschwangere „Tati“ und ihre Schwester Isabel Allende darauf, an der Seite des Vaters den Regierungspalast La Moneda zu verteidigen. Der aber befahl ihnen energisch, seinen Amtssitz zu verlassen. Nach Allendes Tod in der Moneda emigrierte seine Witwe mit zwei ihrer Töchter nach Mexiko, während „Tati“, ihr kubanischer Ehemann und die damals zweijährige Maya nach Havanna flogen.

Dass sie dort von Fernández Oña verlassen wurde, stürzte Beatriz „Tati“ in eine tiefe Depression, verstärkt durch den Tod ihres Vaters, die nach dem Putsch umso tiefer gespaltene chilenische Linke und die Enttäuschung über die Zustände in Kuba. Mitte Oktober 1977 beging sie Selbstmord. In einem energischen Brief an Fidel Castro verlangte sie als letzten Willen, dass ihre Kinder keinesfalls vom Vater, sondern von Mitzi Contreras, der Schwester von Allendes Geliebter, erzogen würden. Was so auch geschah.

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