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Brasilien | Illegale Waldrodungen in Brasilien: Mit Gold bestochen


Link [2022-06-21 00:01:05]



Der Mord an Dom Phillips und Bruno Pereira in Amazonien ist beispielhaft für die korrupten und brutalen Machenschaften in der Region, die oft von Regierungsvertretern gebilligt werden. Unser Autor erinnert sich an seine eigenen Erfahrungen

Nun weiß es die Welt: Die Brüder Amarildo, genannt „Pelado“, und Oseney „Dos Santos“ da Costa de Oliveiro haben der brasilianischen Bundespolizei den Doppelmord an dem Journalisten Dom Phillips und dem Experten für indigene Völker Bruno Pereira gestanden.

Pereira und Phillips wurden zuletzt am 5. Juni, einem Sonntagmorgen, auf dem Weg zwischen der Gemeinde São Rafael und der Stadt Atalaia do Norte auf dem Itaquia-Strom gesehen, der im Amazonasbecken im äußersten Nordwesten Brasilien verläuft. Während der ersten Polizeiermittlungen hatte ein Zeuge berichtet, Pereiras und Phillips’ 40-PS-Boot sei von einem schnelleren 60-PS-Boot verfolgt und von dessen Insassen mit Waffen bedroht worden.

Es stellte sich heraus, dass „Pelado“, der für illegales Fischen im indigenen Reservat bekannt ist, einer dieser Insassen gewesen war. „Pelado“ wurde im Besitz von Militärmunition und Drogen verhaftet, bestritt jedoch eine Woche lang seine Mittäterschaft am Schicksal Pereiras und Phillips’. Bis sein Bruder Oseney – einer der drei Bootsinsassen – das Verbrechen gestand und die Polizei zum Tatort führte. Er erzählte, die Opfer seien erschossen, ihre zerstümmelten Leichen verbrannt und dann tief im Dschungel begraben worden.

Unser täglich Gift

Pereira, ein Experte für indigene Völker, und Phillips, ein freier Journalist, der auch regelmäßig für den Guardian geschrieben hatte, waren zusammen auf einer Recherchereise unterwegs gewesen, die sie in das schwer zugängliche Javari-Tal geführt hatte. Zeitungen berichteten, sie hätten an einem Buch über Gewalt gegen Indigene und einen nachhaltigen Schutz des Regenwalds gearbeitet.

Während ich mit Kollegen Eindrücke über den Mordfall austauschte, überfallen mich Erinnerungsbilder meiner eigenen Amazonas-Expeditionen. Es waren insgesamt fünf Berufsreisen. Zwei davon in den Dschungel Parás, im Osten des damals noch 2,6 Millionen Quadratkilometer großen Regenwaldes, von dem seit 1970 mehr als 20 Prozent vernichtet wurden. Im Pará drehte ich für eine Reportage über die damals weltgrößte Eisenerzgrube im Besitz des inzwischen privatisierten staatlichen Konzerns Vale, der übrigens Partner von Elon Musk bei der weltweiten Nickelausbeutung ist. Das zweite Mal drehte ich im tiefen Regenwald Parás die Leichen-Exhumierungen von Pestizid-Opfern für meinen Film Unser täglich Gift. Davor führten mich drei Aufträge nach Acre und Rondonia, im extremen Westen Amazoniens, südlich des Javari-Tals. Einer davon für den Dokumentarfilm Die letzte Grenze, entlang der 1.450 Kilometer langen Fernstraße von Cuiabá nach Porto Velho.

Als wir damals die Provinz-Grenzstadt Vilhena erreichten, war sie unter dicken Rauchwolken versunken. Der Grund: Mindestens 70 Sägewerke zerschnitten dort Tausende Kubikmeter eingeschlagener Baumstämme, vor allem Mahagoni. Von dem Edelholz „erzeugte“ Brasilien zwischen 1971 und 2001 rund vier Millionen Kubikmeter – mehrheitlich für den Export an die internationale Möbelindustrie. Im Jahr 2002 wurde Mahagoni in das „Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten“ aufgenommen und ist seitdem als aussterbende Baumart in Amazonien geschützt.

Eines Nachmittags machten wir uns damals auf ins Indigenen-Reservat des Cinta-Larga-Volks. Auf der Fernstraße waren wir einem mit Baumstämmen vollbeladenen Lkw begegnet, hatten ihn kurz verfolgt und seine Last dokumentiert. Ich fragte unter den Indigenen nach, was sie davon wussten. Es herrschte zunächst eisiges Schweigen. Dann bat mich ein junger Cinta-Larga, ihm zu folgen. Im Schatten einer Hütte flüsterte er mir zu: „Die Bäume werden auch hier auf unserem Reservat gefällt und einzelne unserer Führer mit Geld bestochen, das ist alles sehr gefährlich.“ Seine Ermahnung lässt mich viele Jahre später erschaudern, wenn ich im Fernsehen den autoritären brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro Drohungen zum Schicksal von Dom Phillips ausstoßen höre: „Dieser Engländer war in der Region unbeliebt, weil er viel über Goldsucher und Umweltprobleme berichtete. Also mochten ihn dort viele Leute nicht.“ Dass das Javari-Tal mit seinem 85.000 Quadratkilometer großen Indigenen-Reservat zunehmend von Drogenkartellen aus Peru, Kolumbien und Brasilien kontrolliert wird, sollte nicht überraschen. Bolsonaro bekundete bereits 2019 seine Indigenen-Feindschaft. Er werde „keinen weiteren Zentimeter Land“ legalisieren, denn „Indianerreservate sind ein Missbrauch und behindern die Zukunft Amazoniens“.

Rechtsradikaler General

Dem folgte die „Marschroute“ von Bolsonaros erstem Umweltminister, Ricardo Salles: Amazonien „benötigt kapitalistische Lösungen“, erklärte er und rief dafür zur „schlauen Umgehung“ der Umweltgesetzgebung auf. Folgerichtig wurden sämtliche zivilen WissenschaftlerInnen in Leitungsposten des Umweltministeriums und der Behörde für indigene Angelegenheiten durch Militärs und Polizei ersetzt. Bolsonaros Vizepräsident, General Hamilton Mourão, ist seitdem Vorsitzender des Amazonien-Rats, einer gespenstischen Tafelrunde mit 19 Militärs und keinem einzigen Zivilisten, die die gesamte Wirtschafts-, Umwelt- und Indigenen-Politik für das monumentale Biotop diktiert. Mourão, sollte man ferner wissen, ist der Ansprechpartner für die Verwendung des Milliarden Euro schweren, seit 2020 auf Eis liegenden Amazonien-Fonds, mit dem Norwegen (1,3 Milliarden Euro) und Deutschland (35 Millionen Euro) die Brandrodungen auf null reduzieren und den Schutz der indigenen Bewohner und der Artenvielfalt in „partnerschaftlicher Zusammenarbeit“ sicherstellen wollten.

Der rechtsradikale General-Vizepräsident ist aber auch der Gönner der „Garimpeiros“, der Goldgräber. Ihr Kopf ist José Altino Machado, der bereits in den 1980er Jahren mit Waffengewalt auf das Territorium des Yanomami-Volkes vordrang und mit seinem Goldgräbersyndikat gegenwärtig 450 Flugzeuge und Hunderte, zumeist illegale Landepisten im Regenwald unter seinem Kommando hat. Die Investigativplattform Observatório da Mineração veröffentlichte im Januar 2021 eine Reportage über die persönliche Freundschaft von Bolsonaros Vizepräsident Mourão mit Machado und seinem Syndikat. Seit seinem Amtsantritt traf sich Mourão viermal mit Machado. In den Gesprächen ging es um die forcierte Legalisierung des Goldgräber-Raubbaus auf indigenem Gebiet. Dass die von den illegalen Goldgräbern verursachte Entwaldung in Amazonien zwischen 2017 und 2020 nach Angaben der Universität São Paulo um 90 Prozent zugenommen hat, ist in Brasilien eine tabuisierte Wahrheit.

Ende Juni 2021 erlitt die Politik der verbrannten Erde aber einen folgenreichen Verlust: Nach Empörung und internationalen Protesten wurde der als „Umweltkiller Brasiliens“ titulierte Umweltminister Salles seines Amtes enthoben. Salles, so bewies Polizeikommissar Alexandre Saraiva, handelte als Mitglied einer internationalen Waldrodungs- und Holzschmugglerbande, welcher der Kommissar das Handwerk legte, als er 26.000 Kubikmeter illegal in die USA und nach Europa geschmuggeltes Holz beschlagnahmte und Salles wegen Korruption und illegaler Bereicherung zum Sturz brachte. Allerdings holte Salles zur „Vendetta“ aus und bewirkte zwei Monate vor seinem Sturz die Entlassung Saraivas als amtierenden Intendanten der Bundespolizei für das Amazonasgebiet. Es war der letzte „Dolchstoß“ des Holzschmugglers und der Generalität in Amt und Würden. Denn Ende 2019 kommandierte Saraiva seinen Einsatz (Kennwort: „Unternehmen Korubo“) mit der Beschlagnahmung von 60 illegalen Goldgräberflößen im indigenen Javari-Tal, von denen einzelne verbrannt und versenkt wurden. Der Abschreckungs-Einsatz brachte Saraiva mehrere Morddrohungen ein. Er wurde nach Rio de Janeiro strafversetzt und verkehrt seitdem nur noch im gepanzerten Dienstfahrzeug.

Der Kommissar kennt den Modus Operandi: Maxciel Pereira dos Santos, Bruno Pereiras Kollege in der Indigenenstiftung FUNAI, wurde im Juni 2019 im amazonischen Tabatinga auf seinem Motorrad erschossen. Ricardo Henrique Rao, ein weiterer Kollege Pereiras, flüchtete nach Abgabe eines Anklage-Dossiers an die Menschenrechtskommission der Abgeordnetenkammer ins norwegische Exil. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Global Witness war Brasilien im Jahr 2020 das viertgefährlichste Land für Umweltschützer weltweit: 20 Naturschützer und Umweltaktivisten wurden wegen ihres Engagements getötet.

Frederico Füllgraf hat lange in Brasilien gelebt und arbeitet als Filmemacher und Autor

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