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Betrug | Die talentierte Miss Delvey


Link [2022-02-13 15:33:29]



„Inventing Anna“ stellt zum faszinierenden Fall einer Hochstaplerin viele Fragen – mehr, als die Serie beantworten kann

Was macht Hochstapler-Geschichten eigentlich so interessant? Ist es die Frechheit, die man bewundert, weil sich da jemand Dinge nimmt, die ihm oder ihr die Gesellschaft nicht zugestehen will? Oder ist es das soziale Geschick, um das man die Betrügerin beneidet, weil sie andere so perfekt blenden kann? Oder sieht man mit jeder Hochstapler-Geschichte auch eine gewisse Rachefantasie erfüllt, gegen die, die da betrogen werden? Letzteres setzt natürlich voraus, dass Leute betrogen werden, die Geld oder Status haben. In jedem Fall ergibt all das auch ein gutes Motiv, um aus einer wahren Geschichte wie der von Anna Delvey, die von der Boulevardpresse den griffigen Beinamen „Soho Grifter“ erhielt, eine Serie zu machen.

Mit der Kombination aus New-York-Glitzerwelt, Instagram-Freundinnen und düpierten Bankern stellt der Stoff zudem ein passendes Projekt für Shonda Rhimes dar, die als Schöpferin und Showrunnerin bei Serien wie Grey’s Anatomy, Scandal und zuletzt Bridgerton ihr Talent für einen modernen Mix aus Seifenoper und weiblicher Ermächtigungsgeschichte gezeigt hat. Und Inventing Anna, wie die Netflix-Serie nun heißt, rückt genau das von Anfang an ins Zentrum: dass es hier um eine Frauengeschichte geht.

Die vermeintliche deutsche Erbin

Anna Delvey, deren wahrer Name Anna Sorokin ist, kam 1991 in Russland zur Welt und reiste 2007 mit Familie nach Deutschland aus. Im nordrhein-westfälischen Eschweiler machte sie 2011 Abitur und sich danach auf in die weite Welt, nach London, Paris und New York. Wann genau sie sich den Namen Delvey zulegte und zu behaupten begann, eine reiche Erbin zu sein mit einem Trust Fund von mindestens 60 Millionen Dollar im Rücken, ist nicht bekannt. Wer das Internet abscannt, wird jedoch für diesen Zeitraum schon Berichte finden, in denen Menschen davon erzählen, wie eine vermeintlich reiche deutsche Erbin sich zu Prominenten mit aufs Foto schlich oder zu Abendessen in teure Restaurants einlud, dann aber nicht bezahlen konnte. „Mein Vater wird das morgen regeln, bezahl du mal, ich überweis’ dir dann das Geld“, lautet eine beliebte Ausrede von ihr. Sie muss immer wieder genau die Opfer gefunden haben, die hinterher kaum merkten, dass ihre Überweisung ausblieb.

Ab 2013 drängte Anna Delvey nach New York und perfektionierte ihren „german heiress“-Akt, indem sie sich als Business Woman mit ambitioniertem Kunstprojekt ausgab. Analog zum „Soho House“ wollte sie eine Institution begründen, „members-only“, mit Ausstellungsprogramm, Restaurants und Spa-Einrichtung. Sie suchte und fand eine passende Immobilie dafür, ein markantes historisches Gebäude in Manhattan; und bald verhandelte sie mit verschiedenen Banken, die die dafür erforderlichen Kredite in Aussicht stellten. Das Vorhaben sollte den Namen Anna Delvey Foundation, kurz ADF, tragen. Für eine 23-jährige Unbekannte, egal ob mit oder ohne Trust Fund, war das schon ganz schön frech. Wie gelang es ihr bloß, die Leute davon zu überzeugen, dass ihr Anliegen und ihre Identität real waren?

Inszenierung inszenieren

In der ersten Folge von Inventing Anna stellt Reporterin Vivian (Anna Chlumsky) die gleiche Frage – und bekommt völlig verschiedene Antworten darauf. Die einen wollen Anna ernst genommen haben, weil sie sich so gut kleidete, die anderen schlossen aus der Vielfalt ihrer sozialen Verbindungen, dass sie reich sein müsse, gerade weil sie nicht schön genug gewesen sei, um es auch ohne Geld „so weit zu bringen“. Ein Vertrauter aus frühen Tagen gibt an, dass Anna in Geschmacksfragen so treffsicher aufs Richtige setzte, wie es eben nur echter Geldadel könne: Sie habe im Restaurant nicht den modischsten oder den teuersten Wein bestellt, sondern alte Traditionsmarken. Dass Delvey in dem Hotel, in dem sie lebte, Hundert-Dollar-Noten als Trinkgeld austeilte, mag ihr auch geholfen haben.

In solchen Momenten, in denen die Serie flott und mit leichter Ironie ihren eigenen Stoff infrage stellt, trifft Inventing Anna genau ins Schwarze. Die Hochstapler-Geschichte erweist sich als tolle Gelegenheit, mithilfe von Inszenierung genau das, was eigentlich eine überzeugende Inszenierung ausmacht, zu hinterfragen. Dass mit Reporterin Vivian eine Figur gesetzt ist, die als Stand-in für die Zuschauerin recherchiert, Zeugen konfrontiert und dabei aus dem Staunen nicht herauskommt, leuchtet zunächst ein. Aber dass dieser Reporterin erstens selbst eine Backstory als diskreditierte Journalistin ins Drehbuch geschrieben wurde und sie zweitens auch noch hochschwanger sein muss, als bräuchte der Fall eine zusätzliche Deadline, erscheint von Anfang an zu viel.

Nun basiert auch die Figur der Reporterin auf einem realen Vorbild. Jessica Pressler schrieb im Mai 2018 für The Cut die bis dahin am besten recherchierte Geschichte über Anna Delvey, die im Oktober 2017 verhaftet worden war. Wie Serienfigur Vivian hatte Pressler davor eine schwere Karriereniederlage hinnehmen müssen, weil sie bei einer Story ein Mal einer Lüge aufgesessen war. Trotzdem wirken die Szenen mit Vivian und ihrem schwangeren Bauch, den ständigen Rückenschmerzen, den liebevoll-abgebrühten Redaktionskollegen und einem engelhaft geduldigen Ehemann sehr viel unrealistischer und aufgesetzter als alles, was Anna Delvey – von Julia Garner sehr monoton-verschlossen und mit grauenhaft künstlichem Akzent gespielt – so macht. Dass in einem weiteren Handlungsstrang Rechtsanwalt Todd (der wunderbare Arian Moayed aus Succession) für Anna seine Ehe aufs Spiel setzt, macht die Sache nicht besser.

So verliert die Serie nach einem starken Auftakt mehr und mehr ihren Fokus und auch ihren Reiz. Über Anna Sorokin alias Delvey weiß man nach den neun Folgen fast weniger als zuvor.

Info

Inventing Anna Shonda Rhimes USA 2022, 9 Folgen, Netflix

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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