Arts / Culture >> Der Freitag


A–Z | Unterm Hammer


Link [2022-03-05 19:19:00]



Manchmal erzielt eine Versteigerung ungeahnte Preise, bald werden Franz Marcs „Füchse“ bei Christie’s gejagt. „Bravos“ waren mal mehr wert, und in amerikanischen Garagen lagert Seltenes. Aber wer gab Kurt Cobains Gitarre weg? A

Amerikanisch Auktionen waren selten in der DDR. Dabei hätten sie Sinn gemacht, knapp war ja so ziemlich alles. Einmal wollten wir im FDJ-Lager ein paar folkloristische Mitbringsel aus Afrika versteigern, wir hatten dafür das System der „amerikanischen Auktion“ ausgewählt, immer eine Markin den Hut, wer die letzte einwirft, kriegt den „Zuschlag“. Amerikanisch! Das ginge gar nicht, ließ man uns wissen. Also nannten wir das Ganze „Versteigerung für Frieden und Freundschaft“, und die Taler fielen, ideologisch unbedenklich, dann doch amerikanisch in den Zylinder. Einmal im Jahr war Solidaritätsbasar der Journalisten auf dem Alexanderplatz, und Versteigerungen seltener Dinge für den guten Zweck waren ein Höhepunkt. Am Stand der Berliner Zeitung gab es Keramik von Hedwig Bollhagen, Lizenzplatten von Bob Dylan und einmal sogar ein Auto, das ein Werkzeughändler aus Pankow gespendet hatte. Ein seltener kleiner Transporter aus der Vorkriegszeit auf drei Rädern. Das letzte Gebot war hoch, damals hätten wir wohl jedes Auto meistbietend versteigern können. Auch ohne Räder. Toni Heinemann

E

Ebay „Viel Spaß beim Bieten.“ Diese Aufforderung trifft es genau. Das Ersteigern bei Ebay ist ein Thrill, eine willkommene Abwechslung besonders für Leute, die sowieso dauernd am Rechner sitzen. Lust an der Warenfülle: Der 1995 von Pierre Omidyar, damals unter dem Namen AuctionWeb, gegründete Online-Marktplatz bietet, was das Herz begehrt. Jeder kann kaufen oder verkaufen, zum Höchstgebot, das oft weit unter dem liegt, was sonst zu zahlen wäre, und dann eben niedriger ist, als Verkäufer es erhofften. Die werden entschädigt mit gutem Gewissen (➝ Amerikanisch), weil sie nicht mehr Benötigtes einer weiteren Verwendung zugeführt haben. Es ist ein Spiel: Erst musst du etwas auf die Beobachtungsliste setzen und darfst dann nicht verpassen, punktgenau zum Auktionsende ein Gebot abzugeben. Geschafft? Hurra! Überboten? Auch kein Problem. Ich gebe zu: Früher ist es mir eine Lieblingsbeschäftigung gewesen. Nun habe ich so viele Blazer im Schrank, dass ich sie eigentlich wieder bei Ebay anbieten müsste. Irmtraud Gutschke

F

Franz Marc Die Füchse von Franz Marc werden demnächst noch einmal den Besitzer wechseln. Kurz nach der Restitution durch die Stadt Düsseldorf im Januar 2022 an die Erben des ehemaligen jüdischen Besitzers Kurt Grawi wird das Gemälde – eine 1913 entstandene Ikone des Kubismus – nun versteigert. Das kleine Tierbild in Öl, das vormals im städtischen Museum Kunstpalast zu sehen war, zeigt zwei Rotfüchse im kubistisch-dynamischen Miteinander. Dynamisch verspricht auch das Auktionsgeschehen am 1. März in London bei Christie’s zu werden: Der Wert des Gemäldes wird auf über 40 Millionen Euro taxiert (➝ Wert). „Dies ist ein Bild, das von den weltweit größten Sammlern gejagt werden wird“, so Christie’s-Chef Jussi Pylkkänen. Seit einem halben Jahrhundert war keine so bedeutende Arbeit von Marc mehr unterm Hammer. Marc Peschke

G

Garage In den USA gibt es rund 185 Millionen Quadratmeter an sogenannten Selbstlagerflächen, das heißt Garagen, in denen verschiedenste Mobilien eingelagert werden. Bleibt die Miete für den Stellplatz drei Monate lang aus, schlägt die Stunde professioneller Auktionsverkäufer, und der nur kurz einsehbare Inhalt des Stellplatzes wird versteigert. Neben Bares für Rares gehören die Storage Wars auf einem Kleinst-TV-Sender mittlerweile zu meinen Lieblingssendungen. Faszinierend der unverständlich blitzschnelle Singsang der Auktionatoren, mit dem die Gebote nach oben getrieben werden, und schließlich, über die zurückgelassenen Gegenstände, der Einblick in ein unklischiertes amerikanisches Leben. Von wertlosem Nippes bis zu Billardtischen findet sich alles. Die ebenfalls professionellen Bieterinnen und Bieter bringen die Gegenstände bei unklarem ➝ Wert zu Sachverständigen und erleben mitunter große Überraschungen. Historische Waffen, die 2.000 Dollar wert sind, oder etwa ein von Elvis Presley unterschriebener Vertrag, der sich aber als Fälschung entpuppt. Marc Ottiker

H

Hacksilber Früher entsprach der Tauschwert von Edelmetallen dem Metallwert. Daher zahlte man in der vormünzlichen Zeit einfach mit Metallstücken, wie dem sogenannten Hacksilber. Dieses bestand aus zerkleinerten Silbergegenständen wie Schmuck, konnte aber auch ein zu einer Spirale gedrehtes Silberband sein. Davon brach oder hackte man einfach Stücke vom entsprechenden Gewicht ab. Man verwendete Hacksilber im antiken Ägypten und Griechenland, in Nordeuropa war es auf den Britischen Inseln und im Ostseegebiet bis ins zehnte Jahrhundert gebräuchlich. Einer ähnlichen Verwendung entstammt das schöne Wort „verscherbeln“. Ein Scherf war um 1500 eine kleine Münze vom Wert eines halben Pfennigs. Weil der so gering war, wurden Ein-Scherf-Münzen selten geprägt, eher welche zu sechs oder mehr Scherf. Wollte man bezahlen, brach man Teile aus der Münze heraus. Diese verfügten sogar über Sollbruchstellen, um das Zerteilen zu erleichtern.Mit diesen „Scherben“ erwarb man preiswerte Waren, die der Händler – einst Höker genannt – „verscherbelte“ oder „verhökerte“. Für „einen Appel und ein Ei“ bekam man Waren des täglichen Bedarfs, weil Äpfel und Eier überall erhältlich und ein übliches Tauschmittel waren. Tobias Prüwer

M

Mondpreise Batman oder Superman? 3,2 oder 3,4 Millionen Dollar? Die Quellenlage ist etwas unübersichtlich. Gewiss ist aber, dass es kapitalkräftige Fans gibt, die für ein ordentlich erhaltenes Comic-Heft aus dem Jahr 1939 tief in die Tasche greifen. Beim texanischen Auktionshaus Heritage sind Mondpreise für rares Altpapier keine Seltenheit. Was einst für zehn Cent über die Ladentheke ging, kann nun Millionen wert sein. Rekordsummen werden vor allem für jene Hefte gezahlt, in denen populäre Superhelden ihr Debüt gaben. Liebhaber tragikomischer Figuren wie Donald Duck kommen günstiger davon. Am teuersten war bislang die erste Ausgabe von Walt Disney’s Comics and Stories (1940). Der Hammer fiel bei schnöden 116.000 Dollar. Und die Nummer 1 der deutschen Micky Maus von 1951 lässt sich schon für ein paar tausend Euro ergattern. Aber der Markt für antiquarische Periodika hat seine Tücken. Noch vor wenigen Jahren brachten frühe Ausgaben der legendären Jugendzeitschrift „Twen“ bei ➝ Ebay bis zu 100 Euro. Auch alte „Bravo“-Hefte waren begehrt. Doch die Nostalgiker scheinen ihre Sammlungen inzwischen komplettiert zu haben. Wenn sie nicht gestorben sind. Beim letzten Check wurden für einen ganzen Stapel 60er-Jahre-Bravos knapp 25 Euro geboten. Joachim Feldmann

R

Reingesteigert Es lag vielleicht an The Man Who Sold the World, wie Kurt Cobain es sang: „Oh no, not me.“ Zart. Und cool. Ich musste die CD haben: Nirvanas MTV Unplugged in New York. Ich ging zu Saturn am Alexanderplatz, 1994. Und nahm sie einfach mit. Ein Bekannter hatte gesagt: Nirvana muss man klauen. So wie einen Roman von Marguerite Duras. Ich wusste, im Untergeschoss piepte es nicht. Aber am Ausgang plötzlich. Ich rannte los, dann kam ich in Gewahrsam. Wegen „Fluchtgefahr“. Es war eine Zeit, in der für uns Regeln nur eine Möglichkeit waren. Wendekinder wie ich teilten mit Kurt Cobain (➝ Schmerzensmann) das große schwarze Loch. Zumindest bildete ich mir das ein. Die Polizisten nahmen erst die CD, dann meine Fingerabdrücke. Beim Unplugged-Konzert in New York spielte Cobain auf einer Martin-Akustik-Elektrogitarre, die er, gebraucht, für 5.000 Dollar erstanden hatte. Seine Tochter hat sie nach seinem Tod geerbt. Nach der Scheidung ging sie an deren Ex-Mann. 2020 wurde sie dann für sechs Millionen Dollar versteigert – die teuerste Gitarre, die je bei einer Auktion den Besitzer wechselte. Sie wurde zur Ware. So wie seine Musik. Und er selbst. Maxi Leinkauf

S

Schmerzensmann Um ein Jesus-Porträt von Sandro Botticelli tobte Ende Januar bei Sotheby’s ein Wettbewerb zwischen drei Bietern. Schließlich erhielt einer den Zuschlag, und das Renaissancegemälde wechselte für 45,4 Millionen Dollar den Besitzer. Botticellis Spätwerk erfuhr lange Zeit wenig Beachtung – obwohl insgesamt nur wenige Werke des Malers erhalten geblieben sind. Der Schmerzensmann zeigt einen rätselhaften Jesus. Die gekreuzten Hände sind gefesselt, auf dem Haupt sitzt die Dornenkrone. Eine Mischung aus Verwunderung, Erdulden und Gelassenheit spricht aus dem Blick. Der leidende Christus ist ein mystisches Werk.

Der Begriff „Schmerzensmann“ (➝ Reingesteigert) diente vor einem Jahrzehnt als Label für eine eher lahme Geschlechterrollendiskussion. Eine „Zeit“-Autorin urteilte da, ein neuer Typus Singer-Songwriter habe die Bühne der Welt betreten. Eine neue Innerlichkeit hätte diese Männer mit Bart und längeren Haaren ergriffen. Was da nachdenklich-poetisch daherkomme, so die Autorin, sei nichts anderes als der Softie, nur in neuer Optik. Furchtbar unsexy seien diese milden Kerle, und auch noch so kompliziert. Dabei wollte sie einfach nur im Sturm genommen und geküsst werden. Ob solcher Moden scheint Botticellis Schmerzensmann ein Lächeln übers Antlitz zu huschen – ein ganz gelassenes. Tobias Prüwer

W

Wert Einen monetären Wert zu bemessen, ist eine schwierige Angelegenheit. Die Preise für Rolex-Uhren erreichen gerade ungeahnte, risikoreiche Höhen. Doch wo Höhe, da auch Fallhöhe. Ist das alles echt? So wird etwa von einigen Gemälden vermutet, dass sie der Hand des genialen Wolfgang Beltracchi entstammen. Aufgeflogen war er wegen einer Farbe, die es zur Entstehungszeit nicht gegeben hatte. Das war Pech, zeigt aber die Relativität des tatsächlichen Wertes. Preise für Kunst können bei Auktionen derweil ungeahnte Höhen im zweistelligen Millionenbereich erklimmen. Sind diese Werke es wert? Materieller Wert entsteht durch immaterielle Emotionszuweisung an ein Objekt (➝ Mondpreise). Wenn Herdentrieb, Gier und Lust am Dominieren von Besitztürmern greifen, haben Sie die Auktion der Superlative. So soll Gerhard Richter ein Vermögen von 700 Millionen ermalt haben. Einstweilen herzlichen Glückwunsch! Den irrsinnigen Kunstzirkus lernen Sie am besten in Nathaniel Kahns Doku The Price of Everything kennen – und nein, das ist keine Fiktion. Jan C. Behmann

Z

Zwangsversteigerungen Sie sind meist der Endpunkt einer langen, dramatischen Geschichte. Scheidung, Krankheit oder Arbeitslosigkeit zwingen die Betroffenen in die Zahlungsunfähigkeit. Überschuldung droht, und die Insolvenz. Während des Bankeneinbruchs in den USA kamen Millionen Eigenheime unter den Hammer. Das Prozedere dauert recht lange. Manchmal kann noch Abhilfe erkämpft werden, wenn es gelingt, die Kreditwürdigkeit wiederherzustellen, den Verkauf der Immobilie selbst in die Hand zu nehmen, Verfahrensfehler zu finden, die den Ablauf stoppen können. Meist rollt die Kugel weiter in Richtung Zwangsräumung. Auch wenn sich Erbengemeinschaften nicht über eine Immobilie einigen können, ist Zwangsversteigerung oft die Ultima Ratio. Magda Geisler

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



Most Read

2024-09-19 09:00:22