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Ausstellung | Malerei von Michel Majerus: Hier und dort und dort


Link [2022-05-21 23:13:39]



Dem Maler Michel Majerus ist ein ganzes Ausstellungsjahr gewidmet, mit 18 Stationen deutschlandweit

„Majerus ist hier auch tot ein Star der Zukunft“, urteilte ein Kritiker angesichts einer großen Werkschau im Stuttgarter Kunstmuseum im Jahre 2011. Geht es nach den Organisator*innen des Ausstellungsprojekts Michel Majerus 2022, gilt der Satz auch Jahre später, und nicht nur „hier“, sondern auch dort und dort. Denn mit der Eröffnung einer Ausstellung Ende April im Berliner Michel Majerus Estate ist dem 1967 im luxemburgischen Esch geborenen Künstler, der ab 1992 in Berlin lebte und von dort aus seit Mitte der 1990er Jahre insbesondere als Maler reüssierte, ein ganzes Ausstellungsjahr gewidmet – und dies (west-)deutschlandweit an 18 Stationen. Der angegebene Grund: die Erinnerung daran, dass Majerus vor 20 Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.

Überzeugend bis heute sind die ästhetischen Qualitäten von Majerus’ collagenhaften Bildwelten: Aus seinen Gemälden, Sieb- oder Digitaldrucken (oft die Techniken in einem Bild vermischend), sprechen die Pop-, Techno-, Sampling- und Digitalkulturen der (Berliner) 1990er Jahre sowie, in zitathafter Anverwandlung, Motive der Pop und Minimal Art. Sowohl in Majerus’ künstlerischen Techniken (seine Bildmotive speicherte und bearbeitete er zuerst auf dem Computer) als auch in der Wahl seiner meist sehr farbig eingesetzten Motive ging es zumeist um die Frage, wie man die Effekte elektronischer Bildmedien mit Mitteln der Malerei thematisieren kann: In seinen bisweilen sehr großformatigen Bildern gab es den überquellenden (alten) Macintosh-Mülleimer in der rechten unteren Bildecke oder die gigantische Videokassette mit der Aufschrift XXX; hier hatte Majerus Markennamen (VIVA Zwei) verwendet, dort drängten recycelte Schrifttypen aus dem C64er-Zeitalter ins Bild. Und das, was dabei auf einen ersten Blick „unfertig“ wirkte, spiegelte tatsächlich die leere Perfektion unterhaltungsindustrieller Überproduktion, an deren buntestem Ende die Motive in weißes Rauschen übergingen.

Eine der bestechendsten Qualitäten von Majerus’ Arbeiten lag darin, dass seine aus Pop, Werbung, Computerspiele-Industrie und Medientrash gesampelten Charaktere, Zeichen und Schriften souverän eine unhierarchische Gleichzeitigkeit des Abgebildeten herstellten. Das Nebeneinander auf der Leinwand platzierte der Künstler so bewusst als Effekt und Ausriss einer viel größeren, bereits fragmentierten Medienwirklichkeit. Majerus’ Berliner Galerie neugerriemschneider bemüht sich weiterhin, sein künstlerisches Erbe zu zeigen und zu verkaufen. Ausstellungen in vielen vor allem europäischen Ausstellungshäusern haben in den Jahren seit seinem Tod dazu beigetragen, dass die Aufmerksamkeit für sein Werk eher zu- als abzunehmen scheint. Von einer Wiederentdeckung seines Werkes zu sprechen, wäre also mehr als gewagt. Und so wählt man an jenem Berliner Aprilmorgen, an dem der Ausstellungszyklus in den Räumen des Michel Majerus Estate – dem ehemaligen Atelier des Künstlers – vorgestellt wird, andere Worte.

Die anwesenden Vertreter*innen des Estate, des Berliner KW Institute for Contemporary Art, des Neuen Berliner Kunstvereins (n.b.k.), des Kunstvereins in Hamburg sowie die Galeristen Neuger und Riemschneider bemühen sich zu betonen, dass mit den über die nächsten Monate anstehenden Majerus-Ausstellungen an diesen Orten zu verschiedenen Schwerpunkten und mit 13 Sammlungspräsentationen an weiteren Orten, Leben und Werk des Künstlers nun – als sei dies schon Grund genug für das Unterfangen und Qualitätsausweis – „in einem nie da gewesenen Umfang gewürdigt“ würden. Zwar scheinen überall kuratorische Handschriften oder solche des Kunstmarkts hervor – bei neugerriemschneider etwa soll die erste Ausstellung von 1994 rekonstruiert werden, beim n.b.k. legt man eher Wert auf Installatives und die Darstellung von „Modi des Arbeitens“ des Künstlers – aber eine übergeordnete Idee, gar eine vorgebrachte Dringlichkeit fehlt, und das, obwohl allzu pflichtschuldig (und unbegründet) betont wird, Michel Majerus sei auch politischer Künstler gewesen.

Plötzlich Zwischenkriegskunst

Auch der Konzeptkünstler Joseph Kosuth, neben K. R. H. Sonderborg einer von Majerus’ Professoren an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart zwischen 1986 und 1992 und an jenem Morgen ebenfalls anwesend, ist zwar zum allgemeinen Plaudern aufgelegt („As a student he was a pain in the ass … you can only love him for this“), gibt aber keinen Hinweis darauf, warum Majerus’ Kunst in dieser Fülle in eine Jetztzeit passen sollte, die sich von den 1990er Jahren so streng unterscheidet. Dabei hinterlässt die kleine Ausstellung kosuth majerus sonderborg im Estate, die Arbeiten aller drei Künstler in einer Installation von Joseph Kosuth zeigt, hierzu eine interessante Frage. Neben den wenigen Gemälden von Majerus und Sonderborg scheint ein Fragment auf. Es entstammt den Notizbüchern des Gewürdigten, aus denen Kosuth Bemerkungen ausgewählt und in weiß leuchtende Neonschrift gebracht hat. „Zwischen dem 2. und dem 3. Weltkrieg“, steht dort. Plötzlich ist die Latte thematisch hoch gelegt für einen Ausstellungszyklus, der eben noch nach Kunstweihspiel aussah.

Info

kosuth majerus sonderborg – an installation by Joseph Kosuth Michel Majerus Estate, Berlin, bis 18. März 2023

Weitere Infos unter: michelmajerus2022.com

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