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Ampel | Die drei Kanzler der Scholz-Regierung


Link [2022-01-22 19:40:09]



Die Ministerien sind frisch besetzt und skizzieren erste Pläne – betont höflich, damit die unterschiedlichen Positionen sich nicht aneinander reiben. Hält die Koalition ihre neue Art des Umgangs durch?

Die Hauptaufgabe der neuen Bundesregierung ist der ökologische Umbau: Das hat der neue Kanzler Olaf Scholz, SPD, in seiner Neujahrsansprache zum Ausdruck bringen müssen. Es war schon nach 1998 die Hauptaufgabe, aber das sahen damals nur die Grünen, die vom SPD-Kanzler Gerhard Schröder zu „Kellnern“ degradiert wurden. Schröder selbst hatte zunächst gar keinen Plan, so dass seine ersten Regierungswochen chaotisch ausfielen; „Wo bleibt Schröder?“, rief die Presse, da er noch nicht durchgriff.

Auch von Scholz hört man bisher nicht viel, sein Kabinett macht aber trotzdem den Eindruck, schon vom Start weg höchst professionell zu arbeiten. Die Verschiedenheit der Ampel-Parteien ist und bleibt offensichtlich, wird auch nicht zu überspielen versucht, im Gegenteil, und doch arbeiten sie ohne Reibungsverluste. Bisher nur? Es scheint eher so, als zeichne sich ein neuer Stil des Umgangs miteinander ab.

In großer Ruhe haben die meisten Ministerien Schwerpunkte ihrer Arbeit benannt oder auch schon erste Taten sehen lassen. Man kann sie gar nicht alle aufzählen, so viele sind es. Annalena Baerbock etwa reist in Europa herum, als sei sie immer schon Bundesaußenministerin gewesen, und hat auch ihren Amtskollegen in Washington besucht. Dass sie auf ihren Positionen beharrt, wie der Ablehnung von Nord Stream 2, einem Instrument russischer Erpressung in ihren Augen, hat sie – schon ganz Diplomatin – deutlich machen können, ohne es noch einmal sagen zu müssen. Der Kanzler teilt ihre Ansicht nicht. Baerbock öffentlich zu widersprechen, überlässt er aber Kevin Kühnert, dem neuen Generalsekretär seiner Partei. Das ist höflicher.

Atom, Gas und Frieden

Dass die Grünen sich mit der Gas-Pipeline abfinden, war schon vorher an der Reaktion von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf den Plan der EU-Kommission abzulesen, Atomkraft und Gas als nachhaltige Energien einzustufen. Die Kommission wollte offenbar Frankreich, dessen Präsident die Pipeline nicht befürwortet, aber noch weitere Atomreaktoren bauen lassen will, und Deutschland entgegenkommen, wo Ende 2022 kein Reaktor mehr arbeiten, dafür aber die Pipeline in Betrieb sein wird. Habeck hat den Atomkraft-Plan gerügt, womit die Sache schon abgetan zu sein schien, denn er stellt sich nicht gegen die deutsch-französische Partnerschaft. Inzwischen hat sich die Scholz-Regierung aber doch geeinigt, in Brüssel gegen die Einstufung der Atomkraft zu protestieren – wohl wissend, dass es für diese Position ohnehin keine Mehrheit geben wird. Aber nicht Habeck verkündete es, sondern die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Zum Gas halten alle den Mund. So funktioniert die neue friedliche Koexistenz von SPD und Grünen.

Bundesfinanzminister zu werden, ist Habeck nicht gelungen, ersatzweise hat er aber Sven Giegold, den Mitgründer von Attac, einen Finanzfachmann, der bisher für die Grünen im Europaparlament saß, zu einem seiner Staatssekretäre gemacht. Giegold ist der Mann, der vor gut zwei Jahren auf dem Bielefelder Parteitag der Grünen sagte, es gehe nicht darum, den Kapitalismus bloß grün anzustreichen, sondern um Grenzen des Wachstums; man brauche deshalb „eine Politik der Freiheit zum Weniger“. Davon spricht das Ministerium jetzt nicht, aber Cem Özdemir, der grüne Bundeslandwirtschaftsminister, hat es schon getan und eine erste Debatte ausgelöst, die noch andauert. Steffi Lemke kündigte an, das Recht auf Ersatzteile zu stärken, damit nicht immerzu neue Elektrogeräte gekauft werden müssen.

Lemke will auch die im Meer versenkte Weltkriegsmunition räumen lassen. Die alte Bundesregierung hatte das nicht tun wollen. Waffen sind auch sonst ein Thema der ersten Regierungswochen: Baerbock fordert ein schärferes Waffenexportgesetz, und Habeck ergänzt, für die gigantischen Waffenlieferungen etwa an Ägypten, die von der Regierung Merkel noch schnell durchgewinkt wurden, als sie schon nur noch geschäftsführend war – einen Tag bevor Scholz Kanzler wurde! –, sei die neue Regierung nicht verantwortlich. (Ägypten führt Krieg in Libyen und im Jemen.) Sie ist es aber insofern sehr wohl, als Scholz schon der alten Regierung angehörte, dies immerhin als Vizekanzler. So gesehen unterstreicht Habecks Stellungnahme einen seltsamen Zug der Scholz-Regierung: Sie verhält sich bisher, als bestehe sie aus drei Kanzlern und ihren ministerialen Netzwerken. So ist Habeck natürlich mit Baerbock vernetzt, diese aber auch mit Claudia Roth, der grünen Staatsministerin für Kultur im Kanzleramt, obwohl es auch im Auswärtigen Amt eine Kulturabteilung gibt.

Seinen Anspruch, einer der „Kanzler“ zu sein, hat Habeck auch dadurch unterstrichen, dass er sagte, der ökologische Umbau sei nicht von heute auf morgen zu schaffen. Implizit heißt das, er hätte längst begonnen haben können – in der langen Zeit, die Scholz schon dabei ist. In dieser Woche hat Habeck seine „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ vorgelegt. Ein Sofortprogramm soll die Energiewende noch im Jahr 2022 kräftig voranbringen. Habecks Rolle ist es, die großen Linien vorzugeben. Wenn es Differenzen mit SPD und FDP gibt, wird er sie im stillen Kämmerlein austragen und es anderen überlassen, sie offen auszusprechen.

Auch Christian Lindner macht seine „Kanzler“-Rolle recht deutlich. Da seine FDP die Schuldenbremse nicht lockern und Superreiche nicht stärker besteuern will, hat er, um dennoch Geld für staatliche ökologische Investitionen zu beschaffen, einen Nachtragshaushalt vorgelegt, in dem ungenutzte Corona-Hilfsgelder in ökologische umgewidmet sind. Er hat damit anerkannt, dass solche staatlichen Gelder jedenfalls gebraucht werden, und nicht nur privatwirtschaftliche, wie er vor dem Eintritt der FDP in diese Regierung suggerierte. Abgesehen von dieser Frage, um die er als Bundesfinanzminister nicht herumkommt, verbreitet er sich aber auch gern über die Corona-Politik oder lobt seinen Parteifreund Volker Wissing dafür, dass der die Vielfalt der Mobilitätsformen aufrechterhalten will, und natürlich auch die „Freiheit“ der Raser auf Autobahnen – kein Tempolimit –, denn, so der witzige Bundesverkehrsminister, „wir dürfen niemanden überfordern“. Lindner will außerdem mit der CDU, von der sich seine Partei durchaus nicht entfernt habe, ein „echtes Zukunftsgespräch“ führen: Die Perspektive von Scholz, der nicht aufhört zu beteuern, dass er die Ampel noch lange regieren will, teilt Lindner offenbar nicht.

Team Faeser/Buschmann

Zu dessen Netzwerk in der Regierung gehört Bundesjustizminister Marco Buschmann, der auch schon mehrere Projekte benannt hat, darunter ein Aus für die Vorratsdatenspeicherung. Zusammen mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD, will er alle Sicherheitsgesetze unter dem Aspekt der Bürgerrechte evaluieren. Das Tempo, das diese neue Regierung vorlegt, ist wirklich atemberaubend, so dass die Ära Merkel im Rückblick als bleierne Zeit erscheint.

Von den SPD-Minister:innen steht Karl Lauterbach, Bundesgesundheitsminister, im Fokus – er ist zurzeit das Kabinettsmitglied, mit dessen Ernennung die für das ZDF-Politbarometer Befragten die höchsten Erwartungen verbinden. Ansonsten hat die SPD als wichtigste Ministerien nicht nur das für Innen-, sondern auch das für Verteidigungspolitik übernommen. Hauptsächlich geht es ihr in diesen Bereichen, die sie als Zentren der Regierungsmacht ansieht, um politische Kontinuität, aber sie macht auch kleine Differenzen zur alten Regierung deutlich; so wird Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht möglicherweise keine US-amerikanischen F-18-Kampfflugzeuge beschaffen, wie es vorgesehen war, weil sie, wie sie sagt, „eine europäische Lösung“ sucht.

Zur SPD-Riege zählen auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, neben Scholz der Einzige, der schon der vorigen Regierung angehörte – seine Aufgabe ist es, den 12-Euro-Mindestlohn zu verwirklichen –, und Bundeswohnungsministerin Klara Geywitz, die den Beziehern von Wohngeld wegen der Heizkosten einen einmaligen Zuschuss von mindestens 135 Euro verschaffen will.

Scholz als Kanzler hat noch fast gar nichts gesagt. Es ist aber nicht zu erwarten, dass er in Bälde „durchgreifen wird“ wie einst Schröder. Selbst wenn er einen Anlass hätte: Anders als Schröder kann er die Grünen ja nicht mehr einschüchtern, weil sie sich jederzeit der Union zuwenden könnten, und die FDP aus demselben Grund erst recht nicht. Seine Rolle wird er vor allem in der Außenpolitik suchen, sie sich von Baerbock nicht streitig machen lassen (und das ist gut so). Ansonsten scheint er eine Art zweiter Bundespräsident, im Regierungskabinett selbst, sein zu wollen, der die Menschen immerzu auffordert, „Respekt“ voreinander zu haben (und auch das ist nicht falsch). Er denkt sicher, mehr brauche er nicht zu tun, um nach bewährtem Merkel-Modell der zu sein, der vom Erfolg der ministerialen Arbeit vor allem profitieren, das heißt, als Kanzler wiedergewählt werden wird – aber man bedenke Christian Lindners Erinnerung an die Union.

Wird Scholz den ökologischen Umbau eher befördern oder eher hemmen? Und was wird „Kanzler“ Habeck tun, wenn Scholz hemmt? Zu denken gibt, dass Habeck in diesen ersten Regierungswochen schon Zeit dafür gefunden hat, auf die ökologische Pflicht des jetzt FDP-beherrschten Verkehrsministeriums hinzuweisen. Alles in allem darf man wohl sagen: Es ist ein Glück der Grünen, dass Baerbock nicht Kanzlerin wurde, denn ihr wäre ja auch nichts anderes übrig geblieben, als mit SPD und FDP zusammen zu regieren. Den ökologischen Misserfolg dieser Regierung, falls er eintritt, hätte man dann nicht Scholz, sondern ihr angelastet. Und er könnte doch eintreten, weil sich die drei „Kanzler“ vor allem auf die technische Innovation hin orientieren und sehr viel weniger auf eine Veränderung der Konsumgewohnheiten und -anreize im Kapitalismus. Habecks bisher bestes Wort war das von der „lernenden Regierung“. Auch wenn man Zweifel hat, ob sie wirklich lernfähig ist: Es ist auf jeden Fall ein wichtiges Experiment.

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