Kleine Warnung vorneweg: Wer Wir sind das Licht von Gerda Blees liest, braucht Gelassenheit. Dennoch wird die Geduld mit der Selbstbezogenheit ihrer Protagonist*innen, ihrem watteweichen Therapiesprech schmal. Es spricht unbedingt für den Roman, dass er die bedrohliche Dimension all der Harmlosigkeit erkennt, wenn Esoteriker*innen Alltagsphänomene und Herbeigeglaubtes zu einem Schmier verrühren, und zwar, weil Blees all das als literarische Vorlage nimmt, die aber nicht auskleidet, nie auf die Tube drückt, nicht mit einfachen Urteilen hindurchbürstet.
Von vorn: In den Niederlanden wurde 2017 ein Fall breit diskutiert, vier Menschen waren in Utrecht zusammengezogen, nannten ihre Wohngruppe Contact & Musziek. Sie beschlossen, sich von Licht zu ernähren. Eine Frau starb, die anderen saßen drum herum. Auf ihrer Internetseite steht bis heute: „Kontakt, Meditieren, Singen in der Natur ist auch Essen.“
Genau hier setzt Wir sind das Licht an, erkundet, was da passierte. „Nichts, was man fühlte, war Melodie zufolge falsch“, heißt es an einer Stelle – ein nüchterner Satz in diesem fast bis zur Kühle zurückhaltenden Roman, in dem ein ganzes Bündel von Beziehungen steckt. Die Hierarchie der Bewohner, das antiaufklärerische Dogma, nach dem das Sentiment über allem herrsche. Der allzeit selbstüberzeugte Predigerton, die immer wolkige Sprache der selbst ernannten Therapeutin, ihre passiv-aggressive Stimmlage. Einen labilen Haufen Gläubige habe sie um sich gesammelt, stellen mit Ermittlungen betraute Kommissar*innen fest.
Eine „stille Radikalisierung“ nennt der Verlag den Roman. Er erscheint in Zeiten, in denen man den Eindruck haben kann, dass viele sich unterschiedlich still, vor allem aber radikalisieren oder in hellen Scharen vor der Banalität der Existenz in ausgestreckte Arme von Selbstbeweihräucherung und Affirmation fliehen. Blees konzentriert sich auf eine kurze Erzählzeit, sammelt zwischen dem Tod der einen und der Freilassung der Übrigen 25 Blickwinkel. Protokolliert in Vignetten den Fortgang der Dinge; das Haus, Eltern, das Cello wagen karge Rückblicke, Brot, Kugelschreiber, Zigaretten fragen kurz nach Verantwortung, beobachten Zwiespalte und Selbstgewissheit, nichtstoffliche Erzähler wie die Nacht oder „kognitive Dissonanz“ schauen auf WG-Hierarchie und Machtlosigkeit der Ermittler*innen gegen selbst auferlegte Unmündigkeit. Die Erzählperspektiven formen ein Wir, eine Gruppe, die auf die drei verbliebenen Lichtesser*innen schaut, oder gehen als Aufwallungen durch sie hindurch. Die Blicke auf das Geschehen bleiben fragmentarisch, die Kraft ihrer Deutung begrenzt. Die letztendlich undurchdringliche Welt der Esoterik kann man rational nie begreifen.
Wie zum Hohn hören wir dann den WG-Bewohner Petrus über „neoliberalen Kapitalismus“ und die schlimme Welt schwafeln – als es darum ging, einer Sterbenden den Arzt zu rufen, blieb er untätig. Das Cello ahnt Widersprüche, rückt seine Besitzerin in schärferes Licht: „Melodie, die an etwas Höheres glauben wollte, etwas Schöneres, etwas Besseres, und das in den gottlosen achtziger Jahren, in denen das Universum der meisten jungen Leute ein luftleerer Raum war. Melodie, die fand, es sollte nicht darum gehen, die Beste zu sein, die aber gleichzeitig doch immer besser sein wollte als alle anderen.“
Die Literaturgeschichte ist voll von Versuchen, Realitäten auszuleuchten, bei denen keine journalistischen Zeugen zugegen waren, niemand aus einer unbeteiligten Position heraus Protokoll führte. Wir sind Licht ist ein sich angenehm selbst begrenzendes Unterfangen, eines, das keine voreiligen Schlüsse zieht und die eigene Ratlosigkeit nicht verhehlt, mit der wir antirationalen Ideologien gegenüberstehen.
InfoWir sind das Licht Gerda Blees Lisa Mensing (Übers.), Paul Zsolnay Verlag 2022, 240 S., 23 €
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2024-11-10 06:07:13