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Abgang | Frankreich in Mali: Ex-Kolonialmacht im Exitmodus


Link [2022-05-25 08:39:04]



Paris versucht, den Rückzug aus Mali durch Sanktionen gegen die Militärregierung zu kompensieren

Frankreich und Mali haben am 2. Mai endgültig ihre Scheidungsurkunde unterzeichnet“, schreibt der Publizist Youssouf Sissoko am 9. Mai auf der unabhängigen Plattform maliweb.net. Der militärische Beistandsvertrag – 2013 geschlossen, um sezessionistische und islamistische Milizen zurückzudrängen – ist beendet. Aus malischer Sicht liegt das erklärte Ziel der französischen Militärmissionen „Barkhane“ und „Takuba“ in weiter Ferne. Frankreich wird sogar beschuldigt, einen Machtzuwachs der teils mit al-Qaida, teils mit dem Islamischen Staat (IS) verbündeten islamistischen Formationen bewirkt zu haben. Es sei die Bewegung der malischen Armee auf eigenem Territorium behindert oder nicht zugelassen worden, dass sich deren Soldaten adäquat ausrüsten konnten. Schließlich wird dem einstigen Alliierten vorgeworfen, das Unabhängigkeitsstreben der großen Nordregion, in der vor allem das Volk der Tuareg lebt, unterstützt zu haben. In der Tat sind aus dem Gebiet um die Metropole Kidal die malische Verwaltung wie malisches Militär ausgesperrt.

In Paris wird all das vehement bestritten und die eigene Sicht auf extrem verschlechterte Beziehungen mit Bamako bemüht. Es sei unzumutbar, dass die eigenen Militärs parallel zu Beratern der Russischen Föderation, dazu womöglich zur russischen Söldnergruppe Wagner, präsent seien. Der im August 2020 durch einen Doppelputsch ins Amt gekommene Übergangspräsident Assimi Goïta hält dies hingegen für wünschenswert. Sein Land wolle militärische Hilfe von außen nicht verhindern, sondern „diversifizieren“.

Im Frühjahr hatten die Forces Armées Maliennes (FAMa) gemeinsame Einsätze mit russischen Militärs gegen Basen islamistischer Milizen unternommen. Danach sprach Michelle Bachelet, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, von schweren Menschenrechtsverbrechen, zu denen es gekommen sei. Human Rights Watch lieferte am 15. März den entsprechenden Bericht. Als freilich die FAMa im Verbund mit französischen Soldaten am 1. Februar 20 Dschihadisten, darunter einen wichtigen Anführer, liquidierte, wurde das nicht nur in französischen Medien als Erfolg vermeldet. Proteste von Menschenrechtsorganisation ließen sich nicht vernehmen.

Human Rights Watch bezeichnet Mura als „anderes russisches Butscha“

Weil Radio France Internationale und der Fernsehsender France 24 unbegründete Anklagen gegen die Armee Malis verbreitet hätten, so die Regierung in Bamako, wurde am 16. März die Präsenz beider Kanäle samt ihren Internetplattformen verboten. Angeblich bis zu 300 zivile Opfer soll der mit russischen Kräften vom 23. bis 31. März durchgeführte Vorstoß gegen die Katiba Macina, ein islamistisches Kommando des Hirtenvolkes der Peul, in dem Ort Mura (Region Mopti) gefordert haben. Human Rights Watch sprach prompt vom „anderen russischen Butscha“.

Dass mit der Abschaltung wichtiger französischer Medien nicht zugleich die Meinungsfreiheit abgeschafft ist, beweist die oben zitierte Plattform maliweb.net. Am 21. Mai publizierte sie ein Interview mit Dr. Ibrahim Sangho, dem Präsidenten eines Vereins, der die schleppende Vorbereitung der von Goïta versprochenen Wahlen kritisierte. Was die innere Sicherheit angehe, so Sangho, gäbe es allerdings ein Hoffnungszeichen für Mali. Die Militäroperation in Mura sei richtig gewesen, nur eben nicht nachhaltig, da in deren Gefolge keine „Basisinstitutionen“ installiert worden seien. Es fehle in Mura weiter ein Gendarmerieposten. Doch ist das weniger Nachlässigkeit geschuldet als Ausdruck der begrenzten Ressourcen des malischen Staates.

Auch der Publizist Youssouf Sissoko betont, eine Mehrheit der Malier unterstütze den Regierungskurs, der aus gutem Grund die Sicherheit priorisiere. Er lässt aber Zweifel anklingen, ob das vom Ukraine-Krieg geschwächte Russland und die noch nicht definitiv vereinbarte Hilfe Chinas die komplexen Probleme Malis lösen können. Es habe keinen Zugang zum Atlantik, aber die Versorgung hänge zu über 70 Prozent von Importen auch über den Seeweg ab. Mittlerweile werde Mali nicht nur von mehreren Staaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS boykottiert, indem die Grenzen zu Lande und in der Luft geschlossen würden. Die Sanktionen richteten sich gleichfalls gegen Banken, was den Handel behindere. Sissoko hält Frankreich für den eigentlichen Urheber dieser Maßnahmen. Paris wolle die Europäische Union – Hauptgeldgeber Malis – dazu drängen, diesen Support aufzugeben. Die USA hätten etliche binationale Projekte bereits eingestellt.

Auch die Weltbank und die Afrikanische Entwicklungsbank drosseln den Finanztransfer. Keine Frage, Mali soll verstehen, dass es für einen völligen Bruch mit dem Westen einen hohen Preis zu zahlen hätte. Das Land ist zu einem Protagonisten im Vorfeld eines neuen Aufbruchs der Emanzipation geworden, der auch für andere Staaten Afrikas begonnen hat. Immerhin wurde dem malischen Außenminister Abdoulaye Diop, der gerade in Moskau war, von Außenminister Sergej Lawrow weitere Unterstützung gegen das „koloniale Gebaren Frankreichs“ zugesichert, wie auch, dass Russland weiterhin Getreide, Düngemittel und Erdölprodukte liefern werde.

Vereitelter Putschversuch in Bamako

Als Antwort auf die Sanktionen etlicher Nachbarstaaten beschloss die malische Regierung Mitte des Monats, sich aus dem G5-Verbund zurückzuziehen, einer Militärallianz, zu der sich 2014 Mali, der Tschad, Niger, Burkina Faso und Mauretanien zusammengeschlossen hatten. Diese Entscheidung erfolgte aus den gleichen Gründen wie die, das Bündnis mit Frankreich aufzukündigen. Die G5 litten an mangelhafter Ausrüstung und fehlender Entschlossenheit sowohl der Mitglieder als auch ihrer westlichen Tutoren. Bisher Hauptfinanzier der G5, will Mali seine Mittel nun auf den eigenen Bedarf konzentrieren. Ein solcher Schritt könnte das Ende der Konstruktion G5 bedeuten.

Ein in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai in Bamako vereitelter Putschversuch soll von der alten Kolonialmacht unterstützt worden sein, um das Ruder noch einmal herumzureißen, was nicht gelungen ist. So ziehen in diesen Tagen die Kräfte der beiden Missionen „Barkhane“ und „Takuba“ endgültig ab. Allgemein wurde erwartet, dass sich auch Deutschland, das an der europäischen Mission EUTM wie an MINUSMA mit UN-Mandat beteiligt ist, aus Mali verabschiedet. Aber Außenministerin Annalena Baerbock plädierte – nach ihrem Bamako-Besuch im April – für den vorläufigen Verbleib, für den es ein von 1.100 auf 1.400 Soldaten erhöhtes MINUSMA-Kontingent gibt.

Da französische Kampfhubschrauber als Schutzschirm fehlen, wird die Bundeswehr in Mali selbst nicht mehr, sondern fortan nur noch in Niger mit 300 (bisher 600) Instrukteuren ausbilden. Zugleich behält sie ein – eher symbolisches – Büro für strategische Zusammenarbeit in Bamako. Andere westliche Staaten werden wohl ähnlich verfahren. Mali ist zu groß und zu wichtig, um es ganz dem Einfluss Russlands und Chinas zu überlassen.

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