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59. Kunstbiennale Venedig | Maria Eichhorn legt Nazi-Umbauten im Deutschen Pavillon frei


Link [2022-05-21 23:13:39]



1938 wurde das Gebäude zum Manifest nationalsozialistischer Baukunst: Den Deutschen Pavillon bei der Biennale in Venedig zu bespielen ist angesichts dieses Erbes eine der größten Herausforderungen der zeitgenössischen Kunst

Nur langsam erfassen die Augen die zarten Buchstaben auf den strahlend weißen Wänden im Deutschen Pavillon auf der 59. Biennale in Venedig: „Nahtstelle zwischen den Gebäudeteilen von 1909 und von 1938“. Von Hand weiß auf weiß mit einer Schablone aufgemalt, bleiben die architektonischen Erläuterungen von den meisten während der Preview-Tage ebenso unbemerkt wie ein ausliegendes Booklet zu Orten der Erinnerung und des Widerstands in der Stadt.

Umso deutlicher sind die Veränderungen, die die Künstlerin Maria Eichhorn im Gebäude veranlasst hat: An vielen Stellen sind die Putzschichten bis auf das rot-braune Ziegelwerk abgetragen. Die freigelegten Flächen lassen die Umrisse von zugemauerten Fenstern und Türen deutlich werden, die zum 1909 errichteten Bayerischen Pavillon gehörten.

Hitler genehmigte den Umbau des Bayerischen Pavillons

1938 wurde das Gebäude zum Manifest nationalsozialistischer Baukunst. Für die Erweiterung nach vorn wurden Bäume gefällt, der Schriftzug „Germania“ in die Fassade gemeißelt und das Gebäude um vier Meter erhöht – bis heute fühlt man sich darin sehr klein. Der Umbau war Ausdruck der gewaltsamen Durchsetzung der Kulturpolitik im Dritten Reich. Hitler persönlich genehmigte den Entwurf. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Pavillon unverändert für die westdeutschen Beiträge genutzt. Ende der 1950er-Jahre kamen Diskussionen über einen Um- beziehungsweise Neubau auf, auch Mies van der Rohe zeigte sich interessiert. Doch ab den 1960er-Jahren erfolgten nur kleinere bauliche Veränderungen. Nach der Wiedervereinigung wurden Abriss und Neubau erneut diskutiert, das Gebäude 1995 saniert, seit 1998 steht es unter italienischem Denkmalschutz.

Den Deutschen Pavillon zu bespielen ist angesichts dieses Erbes eine der größten Herausforderungen der zeitgenössischen Kunst, zumal die Biennale in Venedig die letzte ist, auf der es noch Länderpavillons gibt. 1993 riss Hans Haacke den unter den Nazis verlegten Marmorboden heraus und schichtete die Platten zu einem überdimensionalen Scherbenhaufen. Unter den Füßen der Besuchenden sorgte das für Krach und für den bisher eindrücklichsten Kommentar zur Geschichte des Pavillons.

Maria Eichhorns Beitrag hätte das in diesem Jahr toppen können: Während der Biennale wollte sie den Pavillon verschwinden lassen. Mit dem Verfahren der Trans- oder auch Relozierung hätte das Gebäude tatsächlich an einen anderen Ort bewegt werden können. Zwei machbare Szenarien haben Firmen aus Köln und Venedig durchgespielt: Entweder das Gebäude in Einzelteile zu zerlegen oder als Ganzes vom Untergrund zu lösen. Doch der Denkmalschutz, Zeit und nicht zuletzt Kosten von rund 10 Millionen standen der Umsetzung im Weg. Das Auswärtige Amt hatte ein Gesamtbudget von 750.000 Euro für den Pavillon bereitgestellt, auf 1,6 Millionen konnte es Kurator Yilmaz Dziewior mittels Sponsoring erhöhen.

Als künstlerische Arbeit existiert die temporäre Versetzung dennoch und ist im umfangreichen Katalog mit Zahlen und Bildern dokumentiert. Der Deutsche Pavillon, er wäre für Dziewior der Elefant im Raum gewesen: „Wenn etwas nicht anwesend ist, ist es oft viel präsenter und führt zu mehr Diskussionen, als wenn es da ist.“ Dies trifft nun auf den Russischen Pavillon zu, der in diesem Jahr geschlossen bleibt. Durch die Glasscheiben sind lediglich Besen und Malergerüst zu sehen, ganz so, als wollten der Künstler Kirill Savchenkov und der Kurator Raimundas Malašauskas deutlich machen, dass ihre Arbeit schon begonnen hatte, bevor sie kurz nach dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine vom Pavillon zurücktraten.

Mehrere Aktenordner Material zum Deutschen Pavillon haben Maria Eichhorn und ihr Team in Archiven in Venedig, Berlin und München sowie beim Auswärtigen Amt recherchiert. Einiges ist als Faksimile im Katalog nachzulesen. So manche verdrehten an den Eröffnungstagen die Augen darüber, dass die Geschichte des Pavillons erneut thematisiert wird. In dieser wissenschaftlichen Gründlichkeit und zugleich formal-ästhetischen Dimension hat es jedoch bisher niemand getan. Es ist davon auszugehen, dass Yilmaz Dziewior mit seiner Wahl von Maria Eichhorn genau das bezweckt hat: Seit drei Jahrzehnten beschäftigt sie sich mit deutscher Geschichte, Fragen von Restitution, der historischen und politischen Bedeutung von Ausstellungsorten und ihrer architektonischen Verfasstheit. Anlässlich der documenta 14 gründete sie das Rose-Valland-Institut zur Erforschung der Enteignung der jüdischen Bevölkerung Europas und deren Nachwirkungen bis in die Gegenwart.

Besatzung, Widerstand und Verfolgung haben auch Spuren in Venedig hinterlassen. Zum Werk von Maria Eichhorn gehören drei Touren zu Orten, die in Venedig an den antifaschistischen Widerstand sowie an die Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung unter der deutschen Besatzung von 1943 bis 1945 erinnern. Ab dem 28. April, dem 77. Jahrestag der Befreiung Venedigs, bieten ein Historiker und ein Guide aus Venedig zweimal wöchentlich Touren an. Im Pavillon liegt zusätzlich eine Broschüre bereit, die dazu ermuntert, die Orte auf eigene Faust anzusteuern, die zum Teil in unmittelbarer Nähe liegen: 1957 wurde in den Giardini ein Denkmal für die Frauen des Widerstands errichtet. 1961 zerstörte eine von Neofaschisten gelegte Bombe die Statue vollständig. Nur der Sockel steht noch. Wenige Meter weiter schützt heute eine kleine Mauer die im Wasser liegende Skulptur einer leblosen Frau mit gefesselten Händen. Das Denkmal von 1969 spielt darauf an, dass Leichen ermordeter Partisan:innen zur Abschreckung in den Fluss geworfen wurden, wo sie von möglichst vielen Menschen gesehen werden sollten, bevor sie im Meer verschwanden. Auf dem Biennale-Gelände findet sich seit vergangener Woche eine ganz ähnliche Darstellung, datiert auf den 11. März 2022: Eine der Zeichnungen auf der kurzfristig eingerichteten „Piazza Ucraina“ zeigt eine von Soldaten gefesselte nackte Frau am Boden. Ein Turm aus Sandsäcken erinnert auf dem Platz daran, wie Denkmäler und Kulturgüter in der Ukraine derzeit geschützt werden.

Gut 40 Minuten Fahrt mit dem Wasserbus trennen den Deutschen Pavillon vom jüdischen Getto. Ihre Schnittmenge liegt im Jahr 1938: Während da der Pavillon aufwendig umgebaut wurde, war das Inkrafttreten der faschistischen Rassengesetze ein Schock für die vollständig in das soziale Gefüge der Stadt integrierte Gemeinde. Mit einer Massenverhaftung im Dezember 1943 begann das venezianische Kapitel des Holocaust. Von 246 aus Venedig deportierten Jüdinnen und Juden kehrten nur acht zurück. In der Umgebung des Gettos befinden sich mehrere Denkmäler, die den Opfern gewidmet sind. Vor dem Altenheim und den letzten Wohnstätten einzelner Opfer wurden Stolpersteine in den Boden eingelassen. Auf fast allen ist das Wort Auschwitz zu lesen.

Diese Touren sind die Anti-Narration zum Deutschen Pavillon und eine starke Setzung, nicht zuletzt, weil Eichhorn damit das nur gegen Eintrittsgeld zugängliche Biennale-Gelände verlässt und den Stadtraum und die Geschichte Venedigs konsequent mitdenkt. Zu hoffen bleibt, dass sich viele auf die Spurensuche begeben werden. Inmitten der Aufmerksamkeitsökonomie der Biennale, auf der 80 Länderpavillons und allein in der Hauptausstellung 1.433 Werke vertreten sind, geht dieser wichtige Teil der Arbeit schnell unter.

Ost-West-Trümmer

Maria Eichhorn hat konsequent fortgeführt, was Hans Haacke begonnen hat. Zu beleuchten gilt es weiterhin die jüngste deutsche Vergangenheit: Ab 1982 stellte die DDR in einem eigenen Pavillon aus. Zur klaren Abgrenzung wurde am Deutschen Pavillon der Schriftzug „Bundesrepublik Deutschland“ angebracht. Haacke erklärte 1993, seine zertrümmerten Steinplatten ließen sich durchaus als Trümmerfeld des Ost-West-Verhältnisses lesen. Seit 1990 haben mit Olaf Nicolai und Thomas Scheibitz nur zwei in der DDR geborene Künstler im Pavillon ausgestellt.

Im Ausblick auf die kommende Biennale fiel während der Preview-Tage in vielen Gesprächen ein Name: Henrike Naumann. 1984 in Zwickau in der DDR geboren, erlebte sie die extrem rechte Ideologie als dominante Jugendkultur in den 90er-Jahren. Künstlerisch reflektiert sie heute gesellschaftspolitische Probleme auf der Ebene von Design und Interieur und setzt sich mit Osteuropa auseinander.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.



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